Inaktivität verkürzt die Lebenszeit

Von Medizinalrat Dr. Rolf Förster – Facharzt für Sportmedizin

„Sport und Turnen füllt Gräber und Urnen“ – einen größeren Schwachsinn haben ich mir wohl kaum jemals anhören müssen, denn rund zehn Prozent der Todesfälle weltweit sind durch körperliche Inaktivität bedingt und damit so gefährlich wie Rauchen! Auch Churchill hat das oft zitierte „No sports!“ nie gesagt. Er liebte in seinen jungen Jahren durchaus den Sport: Fechten, Reiten, Polospielen. Der Spruch „Keine Stunde, die man im Sattel verbringt ist verloren“, stammt vielmehr von ihm.

Bewegung – regelmäßige körperliche Aktivität – zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO neben ausgewogener Ernährung und rauchfreiem Leben zu den drei wesentlichen Verhaltensweisen, die die Gesundheit positiv beeinflussen und das vorzeitige Sterben verhindern. Kardiovaskuläre, metabolische Risiken und das Risiko maligner Neubildungen werden durch sportlich-körperliche Aktivität reduziert

Aber ein Drittel der Erwachsenen und vier von fünf Jugendlichen sind in hohem Maße durch ein Manko an Bewegung gefährdet. Der negative Einfluss des „Couch-Potatoe-Daseins“, der körperlichen Untätigkeit vieler Menschen, kann weder durch eine gesunde Ernährung oder normalem Körpergewicht ausgeglichen werden und es ist erschreckend, dass es in etwa so groß wie das Rauchen ist.

„Mangel an körperlicher Bewegung oder weniger als 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche verursacht sechs bis zehn Prozent der vier häufigsten, nicht übertragbaren Erkrankungen (koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, Brust-und Dickdarmkrebs ) und war beispielsweise im Jahre 2008 für weltweit 5,3 Millionen der insgesamt 57 Millionen Todesfälle verantwortlich“, heißt es in der renommierten, britischen Fachzeitschrift „The Lancet“.

Also, ob es uns gut geht oder nicht, haben wir bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand. Schließlich können die meisten von uns Einfluss darauf nehmen, wie sie sich ernähren und wie viel sie schlafen. Aber ein wichtiger „Glücksbringer“, dessen Wirkung auf Leib, Geist und Gemüt seit immer besser erforscht wird, ist  Bewegung! Damit kann man eben nicht nur einzelne Muskeln und Gelenke trainieren, sondern auch die gesamte Körperabwehr stärken. 

Sport hilft nicht nur bei Figurproblemen

Dass Sport weit mehr ist, als nur eine Methode, um eine knackige Figur zu bekommen, ist zwar schon lange bekannt. Während Ärzte früher ihren Patienten meistens Ruhe und Schonung empfohlen haben, herrscht heute die Auffassung vor, dass sie sich möglichst rasch wieder bewegen sollen. Der Grund: Die Prozesse im Inneren unseres Körpers geraten, selbst wenn wir nur wenige Tage im Bett liegen, langsam aus dem Takt. Herzinfarktpatienten z.B. rät man deshalb dazu, wenige Tage nach ihrem Ereignis wieder zu gehen oder zu laufen, denn Bewegung trägt im Herzmuskel dazu bei, dass die Zellen besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden, so dass durch Aktivität die verengten Stellen durch neue Gefäße überbrückt werden. Menschen mit schwachen Herzen können, wenn sie sich ausreichend bewegen, das Risiko eines kompletten Herzversagens um etwa 20 Prozent reduzieren, während Gesunde, die regelmäßig trainieren, die Gefahr, eine Herzkrankheit zu bekommen, um mehr als ein Drittel verringern.

Sport verhilft uns dazu, unser Potential effizienter zu nutzen und unseren Stoffwechsel stärker zu aktivieren. So profitieren trainierte Menschen davon, dass sich ihr Atemvolumen erhöht und sie deutlich mehr Sauerstoff aufnehmen können. Außerdem gelangen Zuckermoleküle leichter in die Muskelzellen, wo sie die benötigte Energie bereitstellen. Mehr Muskulatur bedeutet Steigerung des Grundumsatzes und Mobilisierung der Fettreserven. Zu den Gewinnern gehören aber auch die Knochen, die Knochendichte erhöht sich und die Gefahr eines Bruches nimmt ab.

Bewegung ist auch ein wirksames Mittel gegen Depressionen, denn die Produktion des Hormons Noradrenalin und des Neurotransmitter Serotonin wird gesteigert, welche eine wichtige Rolle für die Entstehung von Glücksgefühlen spielt. Auch Endorphine – körpereigene Varianten des Opiums – werden vermehrt ausgeschüttet, die Stress und Spannungen abbauen helfen. Davon profitieren insbesondere auch ältere Menschen, denn sie fühlen sich häufig entmutigt und deprimiert, wenn sie merken, dass ihre körperliche Kräfte nachlassen. 

Die positiven Schlussfolgerungen: Wenn man die Inaktivität weltweit nur um zehn oder 25 Prozent zurückdrängen könnte, wären jährlich 533.000 oder 1,3 Millionen Todesfälle zu vermeiden.

Experten untersuchten die physische Aktivität unter der erwachsenen Bevölkerung in 122 Staaten und unter Jugendlichen ( 13-15 Jahre ) in 105 Ländern.  1,5 Milliarden Menschen und vier von fünf Jugendlichen bewegten sich zu wenig und haben damit ein um 20 bis 30 Prozent höheres Risiko für Herzerkrankungen, Diabetes und mehrere Krebsformen, lautet das Fazit! Die Weltgesundheitsorganisation WHO bringt es auf den Punkt: Nicht Sport ist Mord, sondern mangelnde Bewegung. Schon regelmäßiges Spazierengehen oder Radfahren könnte jedes Jahr rund 13.000 Männer zwischen 40 und 69 Jahren vor einem tödlichen Herzinfarkt bewahren.

Wir leiden an einem Schonungswahn

In Deutschland kamen 28 Prozent der Menschen über 15 Jahren nicht auf die empfohlene, wöchentliche körperliche Aktivität. In Mozambique z.B. sind es nur wenige Menschen ( 7,2 Prozent ). Allerdings haben alle Entwicklungsländer andere und leider noch schwerwiegendere gesundheitliche Probleme. Interessant ist, dass für Belgien 42,7 Prozent ausgewiesen werden, darüber liegen noch Spanien, Italien, Großbritannien und Serbien, darunter Griechenland, Frankreich, Österreich und Dänemark.

Menschen, die sich fit halten und sich regelmäßig betätigen, fühlen sich insgesamt besser. Vor allem Sport hält körperlich und geistig fit, trainiert den Kreislauf und hält den Stoffwechsel in Schwung. Er hilft nicht nur Zivilisationskrankheiten vorzubeugen, Sport fördert auch den Teamgeist, das Selbstbewusstsein und den persönlichen Ehrgeiz.

Auch bei Schmerzen sollte man sich adäquat bewegen, denn Schonung ist Gift für schmerzende Gelenke. Denn wird ein Gelenk nicht bewegt, dann ist die Knorpelpumpe stillgelegt – der Knorpel „verhungert“. Darüber hinaus führt die Bewegungseinschränkung zu einer Schwächung der Muskulatur und dadurch zu einer noch stärkeren Belastung des Gelenkes. Allerdings sollte man sich von erfahrenen Ärzten und Übungsleitern gut beraten lassen, um nicht schmerzverstärkende Belastungen durchzuführen. Schwimmen und Aquagymnastik sind für Arthrose-Patienten besonders geeignet, für eine Muskelaktivierung empfiehlt sich eine TENS-Therapie oder einfache isometrische Anspannungsübungen, bestehendes Übergewicht sollte abgebaut werden. 

Sitzen ist etwas drastisch formuliert, auf Dauer äußerst lebensgefährlich. Je mehr Zeit ein Mensch sitzend verbringt, desto größer ist sein Risiko für Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Komplikationen und einen vorzeitigen Tod. Also, zumindestens ein wenig Bewegung sollte sein: Immerhin verlängert täglich etwa 30 Minuten moderater Ausdauersport das Leben um knapp dreieinhalb Jahre, wer doppelt so viel Zeit leicht schnaufend und schwitzend verbringt, sogar um etwas mehr als vier Jahre. Sogar Personen, die pro Woche nur etwas mehr als insgesamt eine Stunde joggen oder radeln, verlängern ihre Lebenserwartung und zwar um immerhin knapp zwei Jahre. Übergewichtige, die etwas Sport treiben, haben eine bessere Prognose als normalgewichtige, aber inaktive Personen. „Fitte Dicke leben länger“. Dies gilt sogar für adipöse Menschen mit einem BMI über 35. 

Bewegung hilft dem Gedächtnis

Eine Vielzahl von Untersuchungen bekräftigen darüber hinaus die Vermutung, dass körperliche Aktivität den kognitiven Abbau entgegen wirkt. Als Wirkungsmechanismus wird angenommen, dass Bewegung die Neubildung von Gefäßen und Neuronen anregt, besonders in dem für Gedächtnisleistungen wichtigem Hirnareal Hippokampus. 

Dennoch neigen leider trotz der vielen Nachteile immer mehr Bundesbürger zur Inaktivität. Von den 30- bis 45-Jährigen bewegen sich z.B. nur noch 50 Prozent ausreichend. Es liegt wirklich die Hoffnung nahe, dass eine durch Sport angeregte verstärkte Neubildung von Nervenzellen im Hippokampus eine „neurogene Reserve“ für das Alter schaffen könnte. Damit ließen sich womöglich Demenzen und andere neurodegenerativen Erkrankungen verzögern oder gar verhindern.

Studien belegen, dass Menschen, die strukturiert und zielgerichtet trainieren körperlich gesünder, psychisch ausgeglichener und geistig fitter sind. Sie können auch – und das verwundert vielleicht viele – trotz des zusätzlichen Aufwandes für den Sport Arbeit und Familie besser managen als ihre sportlich abstinenten Kollegen. Menschen, die körperlich fit sind, halten auch mehr Stress aus und kommen nach Stresssituationen wieder schneller auf Normalniveau als andere.

 Fortsetzung in der Dezember-Ausgabe