Blackout

Müggelheim rückt durch Stromausfall zusammen

Von Simone Jacobius

Schwarz, alles schwarz. Nur das spärliche Licht der Autoscheinwerfer leuchtet wie eine Perlenschnur im finsteren Wald. Ansonsten war es zappenduster in weiten Teilen Köpenicks am 19. Februar. Von etwa 14 Uhr bis 21.30 Uhr am Folgetag – so lange wie noch nie zuvor. Marc Elsbergs Bestseller-Roman „Blackout” ließ grüßen. Zumindest einen kleinen Einblick konnte man gewinnen: ohne Heizung, ohne Telefone, Fernsehen und Radio (wer Nachrichten hören wollte, setzte sich kurz ins Auto), ohne Licht und ohne Kochmöglichkeit.
In der Ferne das Brummen eines Generators. Wenigstens ein Haus, in dem man bei 6 Grad Nachttemperatur nicht frieren musste. Ansonsten dezentes Flackern von Kerzenlicht hinter den ansonsten dunklen Scheiben. Wie romantisch. Mal schauen, was die Geburtenkurve in einem Dreivierteljahr so sagt... Die Müggelheimer rückten zusammen, halfen sich gegenseitig mit Kerzen oder warmem Wasser vom Gasherd für Babynahrung. Man redete miteinander, las oder spielte, was sollte man sonst machen ohne Internet und Fernsehen?
Ursache für den Blackout waren zwei bei den Arbeiten an der Allende-Brücke beschädigte 110-Kilovolt-Kabel – armdicke Kabel, die quasi die Hauptschlagader unseres lokalen Stromnetzes bilden. Alle sechs Leiter der beiden Kabel waren zerstört und mussten ausgewechselt werden. Dadurch fiel das Umspannwerk an der Landjägerstraße komplett aus. 31.500 Haushalte in Köpenick, Grünau, Wendenschloss, Bohnsdorf und Müggelheim waren betroffen, zusätzlich etwa 2000 Gewerbeeinheiten. Die meisten Schulen und Kitas blieben geschlossen. Die Folge: Die Straßen waren so frei wie lange nicht mehr. Trotz Ampel- ausfalls „flutschte” der Verkehr über die Lange Brücke, die Verkehrspolizisten hatten den Verkehrsfluss – im Gegensatz zu den Ampeln – gut im Blick.

Volltreffer an der „Hauptschlagader“

Komplizierte Tiefbau- und Reparaturarbeiten waren nötig, um den Schaden zu beheben. Vattenfall und die Tiefbaufirma arbeiteten die ganze Nacht hindurch. „Eigentlich sind das Arbeiten, für die wir sonst eine Woche einplanen”, sagt ein Arbeiter zu den sportlichen Zeitvorgaben. Am Abend des 20. Februars war es dann um 21.20 Uhr wirklich so weit, in der Altstadt und im Allende-Viertel schon zwei Stunden eher. Der „längste und größte Stromausfall Berlins der Geschichte”, wie Thomas Schäfer, Chef von Stromnetz Berlin sagte, war beendet. Doch bis dahin waren die Inhalte der Tiefkühltruhen bereits zerstört, auch der Kühlschrank hatte mittlerweile Zimmertemperatur. Die Außentemperaturen halfen etwas, waren aber nicht kalt genug, um die Tiefkühlware zu retten. Schäfer erklärte auf einer Pressekonferenz, die zuständige Baufirma werde für den entstandenen Schaden in Haftung genommen. Denn diese habe sich im Vorfeld keine Auskunft vom Netzbetreiber über die Lage der Kabel geholt, ergänzte Jürgen Schunk, Leiter des Krisenstabs.

Katastrophenschutz alarmiert

Dienstagabend wurde der Katastrophenschutz alarmiert, um mehr Einsatzkräfte zu mobilisieren (es wurde aber kein Katastrophenalarm ausgelöst, bei dem man auf Hilfe von außerhalb angewiesen ist). 200 Berufsfeuerwehrleute waren im Einsatz plus 80 Kräfte von Hilfsorganisationen und 45 THWler. Die Polizei verstärkte ihre Einsatzkräfte und fuhr mehr auf Streife, um sowohl als Ansprechpartner, aber auch für die Sicherheit präsent zu sein. Auch in Müggelheim waren sie verstärkt unterwegs, sprachen auch nächtliche Heimkehrer an. Die angekündigten Lautsprecherdurchsagen der Polizei gab es in Müggelheim allerdings nicht – auf jeden Fall nicht flächendeckend.
Die meisten Schulen und Kitas waren am Mittwoch geschlossen, Kinder hatten unverhofft frei – die Eltern dafür ein Betreuungsproblem mehr. Und ohne Handy und Internet mussten viele Kids erstmal lernen, dass man sich die Zeit auch anders vertreiben kann... Einige der Schulen avancierten als Wärmestuben für Menschen, die es in ihren kalten Wohnungen nicht mehr ausgehalten hatten oder einfach ihre Handys aufladen wollten. In der Archenholdschule wurden fast 200 Feldbetten aufgestellt, heiße Getränke und Essen ausgegeben. Zu weit weg für Müggelheimer ohne Auto! Vor dem Rathaus Köpenick wurde ein ASB-Wagen stationiert, der Internet- und Telefonanschluss anbot. Außerdem standen dort Mitarbeiter des Bezirksamtes als Ansprechpartner zur Verfügung. Bürgermeister Oliver Igel ist mit einem Krisenstab ins „beleuchtete” Baumschulenweg umgezogen und hat von dort die Köpenicker via Facebook auf dem Laufenden gehalten – sofern sie denn Empfang hatten. Die ganze Nacht war er im Einsatz und organisierte mit seinem Stab Hilfe für Notfälle. „Die Köpenicker haben gezeigt, dass sie in solchen Situationen zusammenstehen und diese auch meistern können“, sagte er, „in unserer Gesellschaft darf man in Notlagen nicht nur auf sich selbst achten, sondern muss sich auch um seine Mitmenschen kümmern, vor allem um Ältere und Schwächere.“ 
Auch die Straßenbahnen fuhren nur eingeschränkt, liegengebliebene Straßenbahnen mussten auf die Betriebshöfe geschleppt werden. und zwischen Grünau und Adlershof wurde der S-Bahnverkehr eingestellt. Die BVG bot allen Betroffenen für Mittwoch freie Fahrt an.

Nachtschicht für unsere Feuerwehr

Unsere Freiwillige Feuerwehr war die ganze Nacht besetzt, um für Notfälle erreichbar zu sein. „Ab 16 Uhr war dann die Wache durchgehend bis zum Ende des Stromausfalls besetzt mit zehn bis 15 Mann”, sagt Wehrleiter Sören Vieth. Allerdings saßen sie anfangs selbst im Dunkeln, bis sie sich Strom von einem ihrer Fahrzeuge zogen. Erst in der Nacht wurden sie mit einem Generator versorgt. „Wegen Babynahrung kam niemand zu uns. Aber wir hatten durch die Dunkelheit einige Stürze in Häusern zu betreuen. Nachbarn oder Angehörige sind dann zu uns gerannt oder gefahren, um uns zu alarmieren“, sagt er. Denn die Telefone funktionierten ja nicht. Dadurch dass sie bereits Strom hatten, konnten sie auch einem Mann mit Kunstherz helfen, der alle zwei Stunden seine Akkus laden muss. Weiterhin haben sie unkompliziert eine Stromleitung zur gegenüberliegenden Kita gelegt, damit das Kitaessen in den Tiefkühlgeräten gerettet werden konnte. Auch für die Kameraden sei die Situation außergewöhnlich gewesen und hätte alle stärker zusammengeschweißt, sagt Vieth.

Trinkwasserausgabe in Müggelheim

Übrigens gibt es in Müggelheim noch Straßenzüge und auch einzelne Grundstücke, die nicht ans Stadtwasser angeschlossen sind. Doch die Pumpen für die Brunnen funktionierten natürlich auch nicht ohne Strom. Die Berliner Wasserbetriebe halfen mit Trinkwasserpacks aus, die sie verteilten.

Krisenstab fürs Krankenhaus

Nachdem das Notstromaggregat im Krankenhaus Köpenick in der Nacht ausgefallen war, wurde die Intensivstation geräumt, die 23 Patienten auf andere Krankenhäuser verteilt. Das THW versorgte den Rest des Krankenhauses wieder mit Strom. Operationen, die nicht lebenswichtig waren, wurden allerdings verschoben. Ein Krisenstab sorgte für einen geordneten Weiterbetrieb. Für den Berliner Landesverband des Technischen Hilfswerks (THW) ist der Einsatz in Köpenick einer der größten in seiner Geschichte. Das THW sorgte mit seinen Notstromaggregaten für die Stromversorgung in zwei Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, Abwasserpumpwerken und einem Umschaltwerk der Berliner S-Bahn. THW-Sprecherin Elke Krukenberg bezeichnete den Einsatz als „außergewöhnlich“. Was man sonst im Trockenen geübt habe, musste man in Köpenick nun in die Tat umsetzen. „Das hat sehr gut funktioniert“, so Krukenberg. Auch eine Intensiv-Pflegewohngemeinschaft musste evakuiert werden.

Entschädigungen vom Netzbetreiber

Kunden können beim Netzbetreiber eine Entschädigung beantragen. Dafür muss nur ein Formular auf der Internetseite des Unternehmens ausgefüllt werden. 20 Euro pro Haushalt hat Stromnetz Berlin bereits eingeplant. Weitere Infos dazu online unter: www.stromnetz.berlin/kundenversprechen. Wer höhere Verluste hat, muss sie beweisen können: Fotos machen und möglichst einem Zeugen die kaputten oder verdorbenen Sachen zeigen und dann alles zu Stromnetz Berlin schicken.

Schloßplatz im Kerzenschein

Das gehört zur Notausstattung

Lebensmittel für bis zu zwei Wochen, die auch ohne Kochen gegessen werden können. Genügend Trinkwasser, wichtige Medikamente, etwas Bargeld, ausreichend Kerzen, Streichhölzer und Batterien und ein batteriebetriebenes Radio. Auch geladene Powerbanks sind hilfreich, um Handys und Laptops zwischendurch aufzuladen, falls man denn Empfang hat. Und wer einen alten Campingkocher hat, sollte den auch aufheben.

Und so sah es in Müggelheim aus

Familie Schülke, Tankstelle: Wir haben den Laden keine einzige Minute leer stehen lassen, weil ja die Alarmanlage nicht ging. Der Chef hat sogar im Laden übernachtet. Der letzte Kunde beim Beginn des Stromausfalls konnte nicht mehr zahlen. Firmen-Visitenkarte und Kfz-Zeichen mussten als Sicherheit reichen. Jetzt wurde die Bezahlung nachgeholt. Und Kaffee zum Frühstück gab es aus Gosen – abgefüllt in eine Thermoskanne. Nur das Eis musste entsorgt werden.

Sandra Fank, Chefin von Salon Sandrett: Die letzte Kundin musste mit nassen Haaren gehen. Zum Glück war sie mit dem Auto da. Ansonsten haben wir im Laden die Stellung gehalten bei Kerzenlicht, um den Kunden neue Termine geben zu können. Denn bei Kerzenlicht schneidet es sich schlecht und Waschen konnten wir auch nicht mehr, das Wasser war schon nach einer Stunde eiskalt – genauso wie der ganze Raum. Zum Duschen bin ich dann zu einer Kollegin nach Adlershof gefahren.

Nick Schubert, Getränke Hoffmann: Ich habe meine Sicherheitsfirma angerufen und gesagt, dass ich die Alarmanlage nicht scharf stellen kann. Dann sind die öfter vorbeigefahren und haben geschaut. Ansonsten ist bei mir nichts weiter passiert, das Eis musste ich wegschmeißen, dafür hatte ich einen freien Tag gewonnen.

Mitarbeiterin von Aldi: Als der Strom plötzlich weg war, mussten die Kunden die Waren wieder zurücklegen in die Regale, wir konnten ja nichts mehr kassieren. Als absehbar war, dass der Strom so bald nicht wiederkommt, haben wir die Bezirksleitung informiert, damit alle Kühlwaren abgeholt werden. Am nächsten Tag haben wir dann alles geputzt, die ganzen abgetauten Tiefkühler und so. Donnerstag früh um sechs waren alle Mitarbeiter da, als der Lieferwagen mit Ware kam und haben mit angepackt.

Uwe Josef, Betreiber der Postfiliale: Das Problem war, dass die Türen von Norma auch nicht abzuschließen waren ohne Strom. Sie hätten ganz leicht aufgedrückt werden können. Deswegen habe ich mehrmals in der Nacht Kontrollfahrten zur Post gemacht. Aber auch die Polizei war stark präsent, in Zivil und in Uniform. Den Umsatzausfall werde ich aber auf jeden Fall geltend machen.

Kommentar von Simone Jacobius

Müggelheim war wieder einmal abgehängt – nicht nur bei den ersten Verkehrslösungen nach der Sperrung der Allende-Brücke, nein, auch jetzt beim großen Stromausfall. Alle Hilfsanlaufstellen konzentrierten sich rings um die Altstadt – Wärmehalle, Handyaufladestationen, Essensausgaben. Müggelheimer ohne Auto hatten es schwer, dorthin zu kommen. Und die mit Auto brauchten es nicht. Das Auto war warm, fuhr sie ins beheizte Einkaufszentrum, zur Arbeit oder in ein Restaurant. So ganz nebenbei konnte man darin Radio hören und sein Handy aufladen. Wer kein Auto hatte, körperlich eingeschränkt war, musste in seinen kalten vier Wänden hocken bleiben und sehen, wie er klarkommt. Zwar hat Müggelheim mal wieder gezeigt, dass es zusammenrücken und sich gegenseitig helfen kann. Aber ich würde mir doch mehr Weitsicht des Bezirksamtes wünschen, in solch abgelegenen Gebieten auch für Hilfsangebote zu sorgen und Lautsprecherdurchsagen oder Aushänge zu machen.