Serie für den Natur- und Gartenfreund
Ein stiller Ort mit Geschichte
von Marianne Schäfer
Es ist schon viele Jahre her, seit ich damals diesen versteckten Ort entdeckte. Er lag wohl am entferntesten Zipfel der Müggelheimer Gemarkung. Mit Freude trat ich flott in die Pedalen, denn ich war wieder mal auf der Suche nach besonders schönen Ausblicken, oder ruhigen, heimlichen Stellen.
Es wäre falsch zu sagen ich fahre zur Kleinen Krampe, denn die Kleine Krampe gibt es nicht mehr. Seit 1947, also nach dem Krieg, wurde dieser kleine Nebenarm der Großen Krampe mit Berliner Trümmerschutt verfüllt. Damit ging ein romantisches Fleckchen in unserer Müggellandschaft verloren. Damalige Pilzsucher hatten dort erstaunlicherweise auf diesem Schutt viel Unkraut und prächtige Kürbisse gefunden. Ich hatte diese Stelle zu dieser Zeit noch nicht entdeckt. Erst viele Jahre später besah ich mir das große Schuttfeld, auf dem so gut wie nichts wuchs. Ich war auf einem schmalen Weg dahin gelangt und hatte das Gefühl, das ich mich verfahren hatte. So einsam, so lebensfremd und still war es hier.
Zaghaft machte ich ein paar Schritte durch hohes Gras, um auf die Schuttfläche zu kommen. An einer Stelle hatten sich schon junge Holunderbüsche durch die Trümmersteine geschoben. Dann ging ich doch auf die weite Fläche. Glas blinkte im Sonnenlicht und ich fand kleine Parfumfläschchen, alte Tintenfässchen, eiserne Herdringe, Koch- und Nachttöpfe, viel zerschlagenes Porzellan und andere Haushaltsdinge. Alles zwischen dem unebenen Schutt und den Steinen. Mühsam suchte ich einen Weg wieder nach Hause. Dabei sah ich, dass das Schuttfeld genau die Form der ehemaligen kleinen Krampe hatte.
In gewissen Abständen hatte ich wieder das Bedürfnis, dort zu der einsamen Stelle zu fahren. Hier war ich alleine und konnte meine Gedanken entwickeln, zu den kleinen Dingen die ich aufhob. Im Sonnenlicht blinkte ein größeres Ding. Dann hatte ich es in der Hand. Es war dickes, rundes Glas, ein Fuß von einem Flügel. Also hatten die Leute, deren Haus eine Bombe getroffen hatte, einen Flügel. Ob die Menschen den Krieg überlebt haben? Ein paar Schritte weiter sah ich einen halben Porzellanteller. Den sah ich mir auch genau an. F16 konnte ich auf der Unterseite sehen. Ich drehte die Scherbe um. Vorsichtig wischte ich Asche und Erde ab. Es war der Boden eines einst wunderschönen Rosentellers. Wie schön muss der ganze Teller ausgesehen haben? Diese Scherbe habe ich mit nach Hause genommen. Auch ein paar Glasfläschchen, welche in den Jahren im Schutt schon etwas opalisierten. Meine Gedanken waren hier in der Ruhe und Einsamkeit oft bei den Kriegsjahren, bei den Bombennächten und den Menschen damals. Aber der Krieg ist lange vorbei.
Als ich nach längerer Zeit mal wieder zu meiner heimlichen Stelle kam, bemerkte ich, dass die Holunderbäumchen schon tüchtig gewachsen waren. Sie standen dicht beieinander und wölbten ihre Zweige zu einem Rund nach außen. In ihrer Mitte fühlte ich mich geborgen. Wieder ging ich auf der Schuttfläche auf die Suche nach Dingen die damals anderen Menschen gehört hatten. Ich fand diesmal etwas Besonderes. Die lebhaften Farben regten meine Vorstellungskraft an. Es war sicherlich der Hals einer größeren Vase. Sie war aus Keramik und von Hand gearbeitet. Drei Blüten, zwei Blättchen und ein Blütenstiel waren ganz geblieben. Der Vasenhals war dunkelgrün glasiert, die Blüten zart Rosa. Die Dekoration war sehr plastisch aufgearbeitet. Diesen Fund habe ich damals auch mit nach Hause genommen. Da ich selber als Hobby jahrelang Keramik gemacht habe, regte mich diese plastische Arbeit an, einige meiner geformten Gefäße auch so zu dekorieren.
Dann sind wieder ein paar Jahre vergangen und nun habe ich mich wieder einmal zu meiner heimlichen Lieblingsstelle auf den Weg gemacht. Als ich die Stelle beinahe erreicht hatte, war es mir jetzt unmöglich, meinen gewohnten Weg zu gehen. Unendlich viele Brennnesseln hatten sich, wie ein schützender Ring in dem Rand der Schuttfläche angesiedelt. Ich musste schmunzeln. Es war doch beinahe wie in dem Märchen von Dornröschen. Zwar sind Brennnesseln keine Rosen, welche über und über rosa geblüht hätten, aber gestochen haben sie mich fleißig! Aber ich fand trotzdem einen Pfad. Ich bemerkte, das die Holunderbäume hier inzwischen alt geworden sind. Die schwarzen Beeren an den Dolden waren in den heißen Sommertagen vertrocknet. Weit bin ich diesmal nicht gegangen. Hohes Gras verdeckte den unebenen Boden und viele kleine Holunder-Sträuchlein sind inzwischen aus den Beeren gekeimt und gewachsen. Trotzdem suchte ich mit den Augen nach kleinen Glasfläschchen mit besonderer Form. Und die Schnapsgläschen waren damals sehr klein. Auch Tintenfässchen hab ich wieder gefunden. Nun habe ich zu Haus schon eine kleine Reihe unterschiedlicher Fundstücke. Tatsächlich fand ich etliche Gläser und Flaschen, die noch ganz waren. Eine Bierflasche, dunkel grün und auffällig dickes Glas mit dem Aufdruck: Private Schloß-Brauerei-1887. Sie ist kaputt, wie so vieles hier.
Es ist doch beachtlich. Damals der Krieg, die Bomben, so vieles wurde zu Schutt und Asche. Dann begann der Wiederaufbau. Ganze Mauersteine wurden gesäubert und extra gestapelt. Der Schutttransport erfolgte mit Lkw, dann umgeladen auf Zillen und auf dem Wasserweg bis hier zum Hafen. Hier wurde alles mit Druck eingespült. Durch die Verfüllung ging ein wichtiges, ruhiges Stück Gewässer, in dem Fische und Lurche gute Lebensbedingungen hatten, verloren. Jetzt ist alles ein Teil der gesamten Schuttfläche, der ehemaligen Kleinen Krampe.
Rings um die Schuttfläche sind inzwischen viele, goldgelb blühende Goldruten gewachsen und an einer Randstelle haben sich Schilfhalme durch die Trümmer geschoben. Da muss früher auch das Ufer der Kleinen Krampe gewesen sein. Meine heimliche, friedliche Stelle wächst wohl so langsam zu. Auch die Holunderbüsche sind mächtig gewachsen sie verdecken die Vergangenheit endgültig.