9. November – 25 Jahre Mauerfall
Erinnerungen an den glücklichsten Tag, oder war es ein anderer?
Es war ein friedlicher Protest, der die Mauer zum Wanken brachte. Und er begann schon lange vor dem 9. November 1989, fand an dem Tag nur seine Vollendung. Vorausgegangen waren die Perestroika in der Sowjetunion, das Aufweichen knallharter Strukturen, das auch in die DDR überschwappte. Kerzen, Diskussionen, Gebete und schließlich immer größer werdende Menschenansammlungen – 25 Jahre ist das jetzt her, ein Vierteljahrhundert. Auch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten feiert im kommenden Jahr ihr Jubiläum. Doch die Vereinigung hat länger gedauert als erwartet. Und noch immer sind nicht alle Mauern in den Köpfen und auf den Lohnzetteln gefallen. Aber Deutschland ist auf einem guten Weg. Für die Generation, die nach dem Mauerfall herangewachsen ist, gehört die Frage "Kommst du aus dem Westen oder aus dem Osten" bereits der Vergangenheit an. Und den Rest des Weges werden wir auch noch schaffen...
Erinnerungen von Michael Wohlfarth
Als Thüringer, der regelmäßig an den Leipziger Montagsdemonstrationen teilgenommen hat und in der Hauptstadt der DDR studiert, seine Familie gegründet hat und schließlich sieben Jahre nach seinem Dienst in Ostthüringen in dem schönen Berliner Südost-Ort Müggelheim wohnen darf, drängt mich meine Frau, die Leipzigerin ist, diesen Text zu schreiben.
In meiner Telefonakte (MfS), die unter dem Decknamen BRUDER II geführt wurde, stehen am 9. Oktober 1989 folgende bemerkenswerte Sätze: "Wohlfarth teilt seiner Frau mit, daß er sich auf dem Karl-Marx-Platz befindet. Es ist alles im positiven Sinne. M a s u r (gesperrt gedruckt STASI) hat soeben über Lautsprecher zu Gewaltlosigkeit und zur Verständigung in freier Meinungsbildung aufgefordert. Dieser Tag wird Geschichte machen ist die Meinung von Wohlfarth. H a a r p e i n (gesperrt gedruckt STASI) ist auch mit hier, wird noch erwähnt."
Masur ist jetzt 86 Jahre alt und konnte am 9. Oktober 2014 im Leipziger Gewandhaus kaum sprechen. Meinem sächsischen Kollegen Wonneberger ging es nicht anders vor Erregung, als er den Aufruf von damals, genau 25 Jahre danach, zur Andacht in der Nikolaikirche um 17 Uhr wiederholte.
Es gab damals keinen RIAS in Leipzig, der hinausposaunen konnte, wenn etwas passiert wäre, keinen SFB, keine ARD, kein ZDF! Nur die Kameras des Geheimdienstes blickten uns von allen Dächern in die Augen, wenn wir den Kopf hoben, wenn wir uns umsahen. Halt, nein, zwei junge Berliner hatten sich aufgemacht und ihre Kameras auf dem Kirchturm der Reformierten Kirche am Leipziger Ring installiert. Das war mehr als gefährlich für den Hausherrn und die Kameraleute.
Wir haben das alles sozusagen vergegenwärtigt bekommen, als wir schweigend am 9. Oktober – wie damals – auf den Schienen des Leipziger Ringes liefen. Alles stillgelegt, wie damals: keine Straßenbahn, kein Auto, kein Bus. Aber die Lastkraftwagen der DDR (Robur und W 70) am Rand des Ringes, etwas versteckt, wie damals, um heute diese Bilder der beiden jungen Berliner an die Hauswände zu werfen und natürlich den Ton dazu, wenn nicht geschwiegen wurde: "Wir sind das Volk!" – "Gorbi, Gorbi" und "Zieht euch um!" zu den Polizisten und Kampfgruppeneinheiten. Die Chöre, die Sprechchöre der großen friedlichen Oktoberrevolution! Und immer wieder: "Keine Gewalt!" Dann vergingen vier Wochen vor 25 Jahren und seitdem erzählen sich die Menschen, was sie gerade gemacht haben, als die Mauer fiel. Es ist gut, wenn wir uns erinnern in den Augenblicken, wo die Welt den Atem anhält: Frieden oder Krieg, Gewalt oder Gewaltverzicht... Nichts ist selbstverständlich!
Mein Freund, der Chef der Diakonie im Altenburger Magdalenenstift, Georg Harpain, ehemals Jugenddiakon und einer der ersten Bausoldaten sagte zu dem Jugendpfarrer Michael Wohlfarth: "Weißt du, Jesus hat uns geführt um den Ring. Ich wäre sonst nicht mitgegangen. Ich hatte große Angst!" Mir ging es genauso.
Ohne den 9. Oktober in Leipzig kein 9. November! Ohne Freiheit keine Einheit! Ab dem 9. Oktober hatten politisch wache Menschen in der DDR keine metaphysische Angst mehr vor einem übermächtigen Machtapparat. Die Machtfrage war gestellt und ist nicht beantwortet worden. Jedenfalls nicht, wie es uns Lenin eingeschärft hatte.
Sie werden alle ihre Erlebnisse und Erfahrungen haben aus dieser Zeit. Lassen Sie es uns unseren Kindern und Enkeln erzählen. Das ist allemal lehrreicher und besser als jeder noch so gut gemeinte Lehrplan. Wenn Geschichte lebendig bleibt, ist nichts verloren. Wenn sie verdrängt wird alles! Und dann können auch Gegensätze ausgetragen werden – mit friedlichen Mitteln.
Erinnerungen von Dr. Rolf Förster
Am 9. November 1989 habe ich meine Frau betreut, die einen frischen Unterschenkelbruch hatte. Wir haben die ganze Nacht vor Aufregung nicht geschlafen, zumal wir viele Anrufe vom Kudamm ( Irish Pub und Eierschale ) erhielten, wo wir denn blieben. Ich konnte es nicht fassen, dachte doch, dass wir vor dem Rentenalter nie rüber könnten und nun das. Unbeschreiblicher Jubel am anderen Tag, als ich früh mit meinem Sohn Ralf und Freunden über den Grenzübergang Sonnenallee nach Westberlin rüber bin. Es war ein unbeschreiblicher Empfang schon an der Grenze. Eine große Menschenmenge begrüßte uns mit Sekt. Wir sind dann schnurstracks kostenlos mit dem Bus ins Europa-Center gefahren und haben unser erstes Kilkenny-Bier und Guinness getrunken. Noch fast 20 Jahre nach dem Mauerfall kamen mir spontan die Tränen, wenn ich über irgendeine innerdeutsche Grenzanlage gefahren bin. Und das soll nun schon 25 Jahre her sein? Unfassbar! Die nachfolgende Wiedervereinigung war der glücklichste Tag in meinem Leben.
Festveranstaltung des Bezirks
Das Bezirksamt und der Ev. Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree laden bereits am 6. November zu einer "Mauerfall-Veranstaltung" ein. Um 19 Uhr erinnern sich in der Stadtkirche St. Laurentius in der Altstadt Zeitzeugen wie Monika Höppner, Johannes Schönherr, Werner Delf und Dieter Schmitz. Im Anschluss gibt es ein Buffet.