Serie für den Natur- und Gartenfreund
Ein vergessener Garten
von Marianne Schäfer
Jetzt im Frühling verlockt das schöne Wetter zu einer Fahrradfahrt. Etwas weiter weg und auch in eine Gegend, wo so schnell niemand hinkommt, nannte ich eine Strampeltour. Lange habe ich so etwas nicht mehr gemacht. Aber heute ergab es sich einfach so.
Etliche Kilometer bin ich schon in gemütlichem Tempo gefahren. Endlich schien mir die Gegend neu und interessant. An dem schmalen Waldweg kam ich an eine Stelle, die irgendetwas Besonderes hatte. Meine Neugier war geweckt. Ich stellte mein Fahrrad an einen sehr dicken Baumstamm. Schon dieser war eine Besonderheit. Er war tot, ohne Rinde, aber er war voller Leben. Ziemlich weit oben hatte ein Specht eine Bruthöhle gezimmert. Überall am Stamm waren kleine Löcher und Fraßgänge. Dann drehte ich mich auf der Stelle um. Horchen und den Blick schweifen lassen. Es war eine große Konifere, die meinen Halt ausgelöst hatte. Mächtig ausladend stand sie wie ein Wächter vor dem, was sich mir noch verborgen hatte. Eine so prächtige Konifere im Wald? Da muss etwas anderes dahinter sein.
Sehr vorsichtig bog ich die Äste etwas zur Seite und ließ den Blick schweifen. An allem was ich sah, erkannte ich, hier war einmal ein Garten. Sträucher und Büsche, überwiegend grau und abgestorben, zwangen mich einen schmalen Pfad zu gehen. An einem sonnigen, freien Gartenteil blühten hunderte Vergissmeinnicht. Seltsamer Weise dachte ich, was will mir die Natur sagen? Wen soll ich nicht vergessen? Ich lauschte dem Gezwitscher der Vögel, aber sie konnten mir ja auch nichts sagen. Kein angelegter Weg führte mich weiter, keine Treppe führte zu einem Haus. Aber ich sah prächtige Farnpflanzen. Wie Soldaten wuchsen sie in Reih und Glied, als wenn sie etwas markierten. Noch hatten sie ihre Wedel nicht entfaltet, sie waren geschlossen nach oben gerichtet. Auch hier überall die himmelblauen Vergissmeinnicht und aus der Laub- und Nadelschicht vom vergangenem Jahr, sprossen überall Waldmeisterpflanzen.
Ein paar Schritte weiter sah ich eine Pflanze mit weichen, rundlichen Blättern. Eine Minze dachte ich und streichelte ihre Blätter. Nur sehr schwachen Minzgeruch konnte ich wahrnehmen. Auffällig war eine Reihe hoher Sträucher, deren Äste wirr und undurchdringlich die sonnige Stelle begrenzten. Weit dahinter, himmelhoch, sah ich einen blühenden Kirschbaum. Das kann durchaus ein Wildling sein. Ein Kirschkern genügt und in den Jahren wird aus dem Kern ein wunderschön weiß blühender Kirschbaum. Später, wenn seine Früchte reifen, besuchen ihn Stare, Amseln, Spatzen und noch viele andere Vögel. Die abgefallenen Früchte fressen auch Igel.
Zu meinen Füßen sah ich plötzlich viele Feuerkäfer. Eifrig huschten sie zwischen dem braunen Laub hin und her. Ein Stück Spierea Hecke begrenzte früher sicherlich das Gartenareal. Nun wandte ich mich der anderen Seite zu. Hier war eine junge Tanne, diese neigte sich, wie unter einer schweren Last zur Erde. Andere Bäume und Sträucher waren dicht zusammen gewachsen. Jedoch noch dahinter sah ich einen beinahe toten Apfelbaum. Erstaunlich, seine letzte Kraft setzte er ein, ein paar Blüten zu entwickeln. Strahlend weiß mit zartem Rosa am Rande der schalenartigen Blütenblätter. Wie schade, dass er nicht in einem gepflegten Garten wachsen durfte. Unter seinem knorrigen Geäst standen viele, hellgrüne Maiglöckchen. Noch waren ihre Blätter und auch die kleinen Blütenglöckchen zusammengerollt, wie kleine Speere senkrecht in die Höhe gereckt, als wollten sie die letzten Blüten des Apfelbaumes beschützen.
Was mögen hier für Menschen gelebt haben? Sicherlich haben sie ihre Sommertage hier verlebt. Sie haben gepflanzt und gegossen und sich am wachsen der Bäume, Sträucher und Zierpflanzen erfreut. Aber in dieser so verlassenen Ecke? So ohne freundliche Nachbarn, mit denen man mal einen kleinen Plausch machen könnte? Die sich auch mal gegenseitig helfen und nach getaner Arbeit gemeinsam einen schönen Sommerabend verleben könnten? Isoliert, wie auf einer Insel? Wie tröstlich ist der Gedanke, da ist jemand in der Nähe, der helfen kann, wenn Hilfe nötig ist.