Auf den Spuren alter Filmstars
Der Müggelheimer Horst Janke sammelt alte Filme von den Anfängen der Filmgeschichte bis 1945 – und erzählt, wie es dazu kam
In den 30er-Jahren gab es in Berlin fast an jeder Straßenecke ein oder zwei Kneipen und fast an jeder fünften Straße ein Kino – kleine und große.
Die größeren Kinos, oft mit hochtrabenden Namen wie Metropol, Delphi, Elysium, Skala, die mittelgroßen Kinos mit bescheideneren Namen wie Rio, Harmonie, Toni oder Atlas. Dann gab es noch die "Pantoffelkinos", so genannt, weil sich oft Hausfrauen mit Pantoffeln an den Füßen mal schnell am Nachmittag einen Film darin anschauten um danach wieder an ihren Herd zurückzukehren. Hier machte man sich nicht extra kinofein. Diese Klein-Kinos hatten dann auch ganz bescheidene Namen wie beispielsweise Nord oder Nord-Ost – oder sie waren einfach nach der Straße benannt, in der sie sich befanden, wie die Helmholtz-Lichtspiele (am Helmholtzplatz) oder die Tilsiter-Lichtspiele (in der Tilsiter Straße). Diese Kinos befanden sich alle im Berliner Nordosten.
Bekam ich am Wochenende 25 Reichspfennig von Muttern geschenkt hatte ich die Wahl: entweder 2-3 Eiswaffeln oder ein Kinobesuch. Oft entschied ich mich fürs Kino. Besonders, wenn es im Programm spannende Filme für Kinder oder Jugendliche gab – und es gab viele. Ulkige Filme wie "Dick und Doof" oder "Pat und Patachon"; Indianerfilme wie "Tom Mix" oder die "Schlacht am blauen Berge"; die Albers-Filme "Sergeant Berry", "FB1 antwortet nicht" oder "Trenck, der Pandur"; Bergfilme mit und von Luis Trenker; Zirkusfilme mit Harry Piel…
Gingen Vater und Mutter mit mir mal in einen "Erwachsenen-Film", war es eine feierliche Handlung. Vernünftige Kleidung und die flüsternde Ruhe der Zuschauer. Ein extremer Gegensatz zur lärmigen Atmosphäre bei Kinder- oder Jugendveranstaltungen.
Einer dieser Filme in der Abendveranstaltung, "Sensationsprozeß Casilla" mit Heinrich George, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es gab während der Filmvorführung Fliegeralarm. Die Vorstellung wurde abrupt beendet und wir mussten nach Hause eilen. Ich habe diesen Film erst viele Jahre später, in der DDR, als Montagsfilm im Fernsehen zu Ende sehen können.
Apropos Montagsfilm, oder auch die Rumpelkammer mit Willi Schwabe: Das waren gute Einrichtungen für die ältere Generation und sie wurden auch gut von der jüngeren Generation angenommen. Selbst in einigen BRD-Gebieten hatte das DDR-Fernsehen zu dieser Sendezeit hohe Einschaltquoten.
Besonders Mutter war zu Zeiten des Montagsfilms oder der Rumpelkammer ein eifriger Konsument dieser alten Filme, führten diese sie doch in frühere Jahre zurück, Jahre der Jugend oder zumindest des jünger seins. Eine Traumwelt vielleicht – aber eine schöne. Sie sah sich diese Filme an, aber danach waren sie nur noch in ihrem Gedächtnis vorhanden. Speichermöglichkeiten für den Hausgebrauch gab es noch nicht, zumindest nicht überall. VHS- oder DVD-Geräte fanden erst später ihre Verbreitung.
Also sang Mutter die Lieder oder Schlager aus der Erinnerung nach. Lieder, bekannt geworden durch Zarah Leander, Marika Rökk, Johannes Heesters, Evelyn Künneke, Ilse Werner und vielen vielen anderen.
Sie sang mit Inbrunst Lieder wie "Frauen sind keine Engel", "Der Wind hat mir ein Lied erzählt", "Man müsste Klavier spielen können" oder "Gnädige Frau, wo waren sie gestern?".
Sie sang diese Titel so oft und so herzzerreißend, dass sie nach und nach auch zu meinem Repertoire gehörten und nicht mehr nur "Goodbye Jonny" aus dem Albers-Film "Wasser für Canitoga". Mein Interesse an alten Filmen beschränkte sich bis zu diesem Zeitpunkt vorwiegend auf Filme mit abenteuerlichem Inhalt, wie es für Jungen typisch war. Es gab eine Fülle dieser Filme, wie die schon erwähnten Albers-, Trenker- und Piel-Filme. Aber auch "Kongo-Expreß" oder "Brand im Ozean", beide mit René Deltgen, waren Filme dieses Genres. Es fehlten natürlich auch nicht die komischen Filme wie "Quax der Bruchpilot" mit Heinz Rühmann, oder Filme kriegerischen Inhalts. Für mich waren das jedoch Reminiszenzen an eine verflossene Zeit. Persönlich stellte ich mich auf die neue Zeit nach dem Krieg ein, ging wieder ins Kino, sah neue hervorragende Filme, pflegte jedoch Mutter zuliebe auch weiterhin "ihre Zeit".
Später, ich wurde flügge, hatte mit 17 oder 18 erst ein eigenes Zimmer und dann auch die erste bescheidene Wohnung, entstand daraus die Idee, Mutter mit Tonkonserven ihrer Filmmusik zu versorgen.
Die Technik in den Nachkriegsjahren ließ es zu, viele Musiktitel auf Tonband (später CD) aufzunehmen und Muttern bei Besuchen auf dem mitgebrachten Rekorder ihre Musik vorzuspielen. Sie schwelgte, sang mit oder schaute verträumt ins Leere.
Vater konnte ich damit nicht so erfreuen, denn erstens war er nicht so musikalisch und zweitens standen die Titel die er brummte kaum noch zur Verfügung. Dazu gehörten beispielsweise "Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte". Alte Schellackplatten aus dieser Zeit gab es kaum noch. Sie waren entweder zerbrochen, oder das Grammophongerät zum Aufziehen war defekt.
Diese Uralttitel auf Schellackplatten hätten aber auch für Mutter ihren Reiz gehabt. Titel wie "Ein Kaufmann wollt nach seiner Heimat wandern", "Mariechen saß weinend im Garten", "Das Edelweis" oder das Wolgalied aus dem "Zarewitsch" wurden immer seltener, je öfter eine Platte das Zeitliche segnete. Ein gewisser Sättigungsgrad beim Hören von Musiktiteln setzte zusätzlich ein. Waren doch Schwabes Rumpelkammer oder der Montagsfilm im Fernsehfunk der DDR nicht nur ein vollwertiger Ersatz oder sogar die bessere Variante durch das Bild.
Das hieß für mich, ich begann mich nach und nach von Ton- auf Bildkonserven umzustellen. Mutter war dankbar. Konnte ich ihr doch jetzt, wenn ich sie besuchte, alte Filme anbieten. Einen Fernseher hatte sie natürlich selbst. Den Rekorder, VHS oder DVD, brachte ich immer mit. Damit konnte ich sie weiter mit "ihren" Filmen versorgen – eine gewisse Zeit zumindest.
Nachdem das DDR-Fernsehen den Betrieb eingestellt hatte und die bundesdeutschen Sender diese Lücke unverständlicherweise nicht ausfüllten, wurde meine Aufgabe zwar komplizierter, aber dafür reizvoller. Denn es wurde schwieriger, diese Filme zusammen zu holen. Nur noch vereinzelt wurden sie im Fernsehen gebracht. Also begann ich zusätzlich, sie mir aus Bibliotheken auszuleihen oder sogar zu kaufen. So konnte ich Mutter noch einige Zeit erfreuen. Der Nebeneffekt war: Mein Fundus wurde immer größer – mein Ehrgeiz ebenso.
Als Mutter starb, hatte ich wohl viel "seichte" Ware im Regal, aber auch einige "Rosinen" waren darunter. Ich kam mir vor wie ein Briefmarkensammler, dessen Ehrgeiz geweckt war und der nicht mehr aufhören konnte.
Und genau so wie ein Briefmarkensammler sich spezialisiert, fing auch ich an, mich einzugrenzen. Zeitlich war es nach oben hin, also zur Neuzeit hin, durch Mutters Filminteressen festgelegt, also durch das Jahr 1945, das Ende der Tobis-, Ufa-, Bavaria- und anderen Filmgesellschaften. Gleichzeitig war es auch der Übergang vom Schwarzweiß-Film zum Farbfilm. Der Übergang war fließend. So gab es schon vor 1945 Farbfilme wie z.B. "Münchhausen", "Frau meiner Träume", "Große Freiheit Nr. 7" und danach noch Schwarzweiß-Filme wie "Unter der Brücke" oder "Die Mörder sind unter uns".
Die zeitliche Einschränkung war notwendig. Das galt auch für ausländische Filme. Ich habe sie nicht berücksichtigt, obgleich es auch dort viele Kostbarkeiten zu entdecken gäbe. Die Sammlung würde ins Uferlose steigen und damit meine bescheidenen Mittel und Möglichkeiten übersteigen.
Das Jahr 1945 ergab nicht nur eine gesellschaftliche Wende, sondern auch auf dem Gebiet des Films. Die Jahreseinschränkung zur Neuzeit ließ jedoch zu den früheren Jahren der Filmgeschichte hin alles offen. Sie verlangte sogar eine Erweiterung der Sammlung in Richtung der Entstehung der Kinematografie.
Nicht nur der Beginn der Tonfilmära in den 30er-Jahren war für Liebhaber des Films eine Fundgrube von Raritäten. Besonders die Stummfilmzeit war für ernsthafte Filmliebhaber ein Muss. Mir würden weit über 50 Stummfilme einfallen, die ich als wertvoll, als Rarität nennen könnte. Nur eine kleine Auswahl: "Brüder" (1928), "Dr. Mabuse, der Spieler" (1922), "Der ewige Zweifel" (1919), "Die freudlose Gasse" (1925), "Der Golem" (1920), "Der letzte Mann" (1924), "Metropolis" (1926), "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (1929), "Nosferatu" (1921)...
Einige Filmtheater bedienen noch einen kleinen Teil dieser Auswahl, das Fernsehen hat sich dagegen weitgehend davon zurückgezogen. Der Sender Arte versuchte es noch einige Zeit mit einem Sendeplatz um Mitternacht. Doch inzwischen gilt auch dort weitgehend nur noch die Quote – auf Kosten der Qualität. Die Folge: Das Sammeln von Filmen wird immer schwieriger, aber dafür reizvoller. Inzwischen gehören schon mehr als 350 Filme zu meiner Sammlung, die meisten aus den 30er und 30er-Jahren, bis 1945. Der ältestes Film ist ein Stummfilm aus dem Jahr 1913: "Der Student von Prag".
Ich könnte mir vorstellen, dass auch eine Reihe von Müggelheimer Bürgern Interesse an diesen alten Filmen haben. Ich wäre bereit, einzelne Stücke meiner Sammlung vorzuführen. Einzelheiten dazu müssten besprochen werden. Kontakt über Tel. 6501 7748.