Gedanken aus Müggelheim

von Michael Wohlfarth

Schon lange hatte ich mir vorgenommen, den Boulevard von Müggelheim zu beschreiben im Müggelheimer Boten, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergäbe. Jetzt hat sie sich ergeben.
„Boulevard“ Berlin-Müggelheim in Berlin Treptow-Köpenick? Alias Müggelheimer Damm – Alt-Müggelheim.
Es ist gleichzeitig unser 10-jähriges Wohnjubiläum in der Ludwig-Höhe-Gegend. Wie oft bin ich die Strecke gelaufen, als alles noch wie „früher“ war. Der Postkasten – den gibt es noch – beim Bulgaren mit den besten Hühnern der Welt. Edeka, die etwas feinere Einkaufsstätte mit den Bürger- und Bürgerinnen-Treffs mittelständischen Ausmaßes.
Der Italiener – Parterre oder die Treppe hoch.
Wie gut, dass der rein-deutsche Blumenladen bei uns um die Ecke war. Ja w a r !
Aber es gibt noch den „Weltmeister im Speerwerfen“.
Es gab – inzwischen – den „Griechen“. Und immer wieder erstaunlicherweise schräg gegenüber verschiedene Nationalitäten, die es ein, zwei Jahre ausgehalten haben, jetzt, wenn nicht der Dachbrand gewesen wäre, ohne Unterbrechung.
Der Grieche tut mir immer noch leid. Ich spreche gern griechisch, zumindest lese ich es gern, weil altgriechisch eine ganz besondere Kultursprache ist, ohne die es das inzwischen wieder aufgerufene Abendland nicht gäbe, nicht einmal die Lateiner gäbe es so gebildet, denn deren große Lehrer waren die Griechen, die die römischen Philosophen möglich gemacht haben. Aber wir wollen es nicht übertreiben mit dem philologisch-philosophischen Exkurs im südöstlichsten Zipfel Berlins.
Wir wollen es auch nicht übertreiben mit dem „Boulevard“. Obwohl: Ein wenig amerikanisch wirkt es schon, die junge Stadt Berlin, das junge Müggelheim – und seine Funktionsstraße. Ganz am Anfang – oder ganz am Ende – die Nr.1 mit der Monroe und die amerikanischen Schlitten, so auf halber Höhe, wo jetzt ganz in der Nähe ein Sommereisverkauf aus eigener Produktion entstanden ist, nachdem man sich sozusagen in der Tanzschule heiß gemacht hat.
Die übrig gebliebenen Supermärkte brauche ich gar nicht zu erwähnen und den Umzug der Post, weil es den schönen Tabakladen am Dorfangers nicht mehr gibt.
Aber so ist das nun mal: die Bäcker kommen und gehen, die Verkaufswagen rollen. Und wir wünschen uns, dass es immer besser wird – oder sagen wir anders besser. Dass die Handwerker bleiben, und die Gastwirte! Dass man sich in den Wohnparks grüßt, vielleicht sogar in der automatischen Sparkasse.
Dass wir alle etwas dankbarer werden.
Für jeden guten Arzt, Ärztin, jeden Recht schaffenden Anwalt.
Und dass wir auf der Hut sind, um nicht zu versinken in Bequemlichkeit und die Not unseres Nächsten nicht mehr sehen.
Den Fußgängern auf dem Boulevard alles Gute. Laufen ist immer noch gesund. Dass wir uns nicht zanken mit den Fahrradfahrern und glücklich sind, wenn wir so viel Zeit haben, durch Müggelheim zu laufen.
Eins habe ich fast vergessen: Die Dorfkirche, die den Weg teilt, den Anger; die Hochzeitskutschen zur Abfahrt bereit im Hof gegenüber; die ehemaligen Bauern rings herum, deren Vorfahren – wie heute – aus Glaubensgründen ihre Heimat verlassen haben. Dort wird mitten im Dorf neben der Alten Schule das Kyrie gesungen (griechisch) und das Amen gesprochen (hebräisch). Hinterher noch essen mit russisch-orthodoxen Gesängen.
Tschüss kommt von Adieu – wie multikulturell sind wir eigentlich – und waren es schon immer?