Müggelheim tanzt
Große Ballettgala mit großen und kleinen Müggelheimern
von Marion Heinrich
Es gibt Momente, da möchte man die Zeit anhalten, einfrieren und zurückspulen. Das Erlebte immer und immer wieder betrachten, weil es so wunderschön war. Die Gala zum zehnjährigen Bestehen unseres Müggelheimer Ballettstudios Brigitte Bätz, die im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur stattfand, war so ein Erlebnis. Mehr als einhundert kleine und große Tänzer und Tanzpädagogen präsentierten sich auf einer Bühne auf der 2016 auch schon Stars des Bolschoi- und des Berliner Staatsballetts auftraten. Manch einem stockte bei diesem Gedanken der Atem. Aber der Enthusiasmus, mit dem alle Beteiligten seit Monaten probten und trainierten, ließ Zweifel gar nicht erst aufkommen. Und ohne das selbstlose Engagement vieler Müggelheimer und Nicht-Müggelheimer wäre die Gala nicht so glänzend über die Bühne gegangen. Dafür nochmals ein herzliches Dankeschön.
Das Programm der Veranstaltung war anspruchsvoll und abwechslungsreich. Ob klassisches Ballett, Ragtime, Feuerfestpolka, Waschwichtel-Tanz, Hip Hop, Jazzdance oder Salsa, vom ersten Moment an, als sich der Vorhang öffnete, sprang der Funke der Begeisterung auf das Publikum im ausverkauften Saal über. Dass Moderatorin Madeleine Wehle vom RBB-Fernsehen die beste Wahl für die Präsentation der Gala war, stellte sich gleich zu Beginn der Veranstaltung heraus. Ein Paar Spitzenschuhe waren während der Proben im Zuschauersaal liegen geblieben. Madeleine Wehle forderte das Publikum auf, erst einmal unter jedem Sitz nach den verlorenen Tanzschuhen zu suchen. Nach so charmanter Aufforderung erhoben sich rund 500 Zuschauer von ihren Sitzen. Auch die Ehrengäste, zu denen u.a. die neue Bezirksstadträtin für Kultur von Treptow-Köpenick, Cornelia Flader, die Vorsitzendes des Haushaltsausschusses des Bundestags, Gesine Lötzsch, und die Direktorin der Müggelheimer Grundschule, Ute Samper, gehörten, suchten kräftig mit. Als die Spitzenschuhe von der hintersten Reihe nach vorn auf die Bühne gereicht wurden, waren die Erleichterung und der Applaus groß. Einige Zuschauer meinten ja, dass die Suche nach den Schuhen ebenso ein inszenierter Gag gewesen sei wie der plötzliche Abbruch der Musik in einem Hip-Hop-Beitrag, bei dem die Mädchen gefühlte drei Minuten in ihrer Pose verharrten, um auf ihren neuen Einsatz zu warten. Dem war nicht so. Aber dieses kleine Malheur zeigte, wie professionell das Programm dargeboten wurde.
Jeder Zuschauer im Saal wird sein ganz persönliches Highlight unter den Darbietungen gesehen haben, das eigene Kind, den Partner, die Freundin sowieso. Wenn an dieser Stelle dennoch zwei Glanzlichter besondere Erwähnung finden, dann aus gutem Grund. Vivien Lu Schulz bezauberte in einem lila Tutu das Publikum mit dem Tanz der Fliederfee aus dem Ballett Dornröschen, den sie extra für diese Gala einstudierte. Vivien begann als Sechsjährige bei Brigitte Bätz zu tanzen und ist heute Elevin der Staatlichen Ballettschule Berlin. Ihr Ziel ist es, in drei Jahren Bühnentänzerin zu sein und auf einer der großen Bühnen dieser Welt aufzutreten.
Wie vielfältig Tanz ist und das Leben bereichern kann, bewies auch der Auftritt der siebenjährigen Rand aus dem Irak. Sie und ihre jüngere Schwester spielten auf der Straße, als in ihrer Nähe eine Autobombe detonierte. Beide Mädchen blieben am Leben, aber beide verloren ihr Gehör. Rand und ihr Vater konnten vor zwei Jahren nach Deutschland fliehen. Mutter und Schwester mussten noch über ein Jahr warten, ehe sie nach Berlin kommen konnten.
Eines Tages brachte Joana ihre kleine Freundin Rand aus dem Flüchtlingsheim im Allende-Viertel mit zum Ballett-Training nach Müggelheim. Für Brigitte Bätz und ihre Tanzpädagogen war ein gehörloses Kind natürlich eine große Herausforderung. Zugleich wussten sie, dass tanzen, der richtige Weg für Rand ist, mit ihrem Handicap ins Leben zu finden. Wer die Kleine als Waschwichtel mit roter Zipfelmütze in der Gala tanzen sah, wie selbstbewusst und fröhlich sie auf der Bühne ihrer Mama zuwinkte als Madeleine Wehle ihre Geschichte erzählte, der konnte ein kleines Wunder erleben. Ja, tanzen verändert das Leben, berührt und stiftet im besten Sinne an: zu Teamgeist, Disziplin, Ehrgeiz und Anstrengung, die sich lohnt. Es ist Lebensfreude pur, die auch bis ins fortgeschrittene Alter anhält.
Als Ruth Buchholz, mit 83 Jahren die Grande Dame der Tänzerinnen, zusammen mit der kleinen Hannah im Finale Brigitte Bätz einen bunten Blumenstrauß überreichte, gab es kein Halten mehr. Das Publikum jubelte den Tänzern des Müggelheimer Ballettstudios so zu als habe es Stars erlebt. Und eigentlich waren sie es ja auch.
Inzwischen ist der Trainingsalltag für Klein und Groß, Jung und Alt wieder am Müggelheimer Damm 269a eingezogen. Neue Tanzklassen sind im Entstehen. Geblieben ist ein unvergessliches Erlebnis und die Lust, Neues zu erlernen, um vielleicht am Ende dieses Jahres ein Da capo zu präsentieren. Vielleicht!
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