Auf den Spuren der Juden von Zülz & Biała – und denen meiner Vorfahren

Von Sabine Bock

PRIVAT

Im August 2024 hatten wir die Möglichkeit, die Stadt Zülz/Biała sowie das Gemeindezentrum für Kultur zu besuchen. Die Stadt Biała, früher Zülz, ist heute Teil der polnischen Gemeinde Prudnik und kann auf eine beinahe 800-jährige Geschichte zurückblicken. Bis heute erinnern zahlreiche Grabstätten, Türme und Denkmäler an die Blüte dieser Stadt und auch an die jüdische Geschichte. Um unser Wissen darüber zu vertiefen, hatten wir die Gelegenheit, uns mit dem Vorstand des Gemeindezentrums für Kultur und dessen Historikern auszutauschen.

Die Reise nach Biała und Zülz basiert darauf, dass auch meine Vorfahren aus der Stadt Zülz/Biała herkommen. Unsere Urgroßmutter Jenny Sara Zwirner wurde 1868 in Zülz geboren und ihre Eltern hießen Rosa Polke und Salomon Fuchs. Sie lebten in Zülz/Biała und waren von Beruf Hutmacher und Kaufleute. Urgroßmutter Jenny Sara Zwirner wurde ein Opfer des Holocaust und ist 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt durch die Nazis ermordet worden. Deswegen sind wir sehr an der Historie der eigenen Familie interessiert und wollten mehr über das Leben der Juden von Zülz erfahren. Wir beabsichtigen deswegen auch, in den Archiven des Gemeindezentrums für Kultur und auf dem jüdischen Friedhof zu recherchieren und mit Historikern direkt vor Ort zu sprechen.  Am Freitag, den 9. August, haben wir uns mit dem Direktor des Gemeindezentrums für Kultur, Patryk Bania, und dem ehemaligen Leiter, Waldemar Hamerla, getroffen, um die historischen Denkmäler der Stadt von Zülz/Biała sowie den größten jüdischen Friedhof der Region (des damaligen Schlesiens) zu besichtigen. In der Folge konnten wir uns ein umfassenderes Bild von der geschichtlichen und kulturellen Bedeutung der Stadt machen und uns intensiv darüber austauschen.

Dank der detaillierten Geschichtskenntnisse und der Expertise von Herrn Bania sowie der exzellenten Deutschkenntnisse von Herrn Hamerla konnten wir uns rasch in die Geschichte vertiefen und uns umfassend über die historischen Erkenntnisse informieren. Im Rahmen einer ausführlichen Führung durch die beiden Herren hatten wir die Gelegenheit, uns mit der Geschichte des jüdischen Friedhofs sowie der Expertise zur Stadtgeschichte anhand von Fotos und Dokumenten vertraut zu machen. Im Rahmen einer Exkursion hatten wir die wertvolle Gelegenheit, gemeinsam mit den Experten des Gemeindehauses auf den Spuren des alten jüdischen Friedhofs zu wandeln und einige historische Gebäude der Stadt zu besichtigen. Der historische Rundgang war ein herausragendes Ereignis, das einen tiefen Eindruck hinterließ.

Im Vorfeld unseres Besuches habe ich mich bereits nach historischen Fakten  erkundigt und die Möglichkeit besprochen, Gräber einiger unserer Vorfahren ausfindig zu machen. Dank der Archivrecherchen von Herrn Bania konnten bereits erste Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof identifiziert werden, die einen Bezug zu unseren Vorfahren den Familien Fuchs und Polke aufweisen. Die Herren vom Gemeindezentrum zeigten uns die wichtigsten und eindrucksvollsten Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof, und wir machten einen ausführlichen Rundgang durch den Wald, an der „Schwedenschanze“ und am Hang des Flusses Biala. Diesmal konnten wir noch keinen Grabstein der Vorfahren aus meiner Familie finden, obwohl es in den Archiven bis zu zwölf Hinweise auf unsere Vorfahren gibt. 

Es finden sich Hinweise darauf, dass bereits im 14. Jahrhundert die erste Ansiedlung der Juden in der „Vorstadt gegen Neiße“ stattgefunden haben könnte. Der Zülzer Judenfriedhof befindet sich auf dem Westabhang der sogenannten „Schwedenschanze“ südlich der Stadt. Es wird angenommen, dass sich auf diesem Hügel, der auch als „Kopiec“ bezeichnet wird, die alte Kastellanei-Burg „Bela“ befand. Es ist bemerkenswert, dass der gesamte Friedhof zwischen 1664 und 1810 fünfmal erweitert wurde. Derzeit umfasst er eine Fläche von fast 7000 Quadratmetern. Insgesamt finden sich hier noch rund 900 von 6000 Grabsteine mit Inschriften, die an über tausend Verstorbene der jüdischen Gemeinden erinnern. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahr 1621/22, der letzte von 1931. 

Historiker und Studierende konnten diesen nun fast 600 Jahre alten Friedhof erst in den letzten Jahren erforschen, was eine erfreuliche Entwicklung darstellt. Zuvor war dies aufgrund der „ungestörten Totenruhe“ der jüdischen Gemeinde nicht möglich. Die Inschriften sind in Hebräisch und die Grabsteine teilweise zerstört und verwittert. Erstaunlicherweise wurden sehr alte Grabsteine im Fluss Biala geborgen, die in einem guten Zustand erhalten geblieben sind. In den letzten Jahren wurden einige Grabsteine gereinigt und ein neues Register dazu angelegt. Es ist noch viel Geld nötig, um den Friedhof zu restaurieren.

Wir besichtigten aber auch in der Altstadt den historischen Neustadtturm aus dem 15. Jahrhundert und die historische Stadtmauer. Diese Stadtmauer diente früher auch dem jüdischen Hospital und den Gemeindemitgliedern als Wohnstätte, was ihn zu einem sehr interessanten Ort macht. Das verwilderte Schloss, die ehemalige evangelische Kirche, die heute ebenfalls ein Gemeindezentrum und ein kleines Museum mit Gegenständen aus der Synagoge und der jüdischen Gemeinde beherbergt, stand auf unserem Programm. Es haben ab dem 17. Jahrhundert in Zülz mehr Juden als Christen gelebt, deswegen wurde bereits 1774 eine neue Synagoge im Barockstil erbaut. Fünf Jahre haben die Vorbereitungen und der Bau in Anspruch genommen. Eine Gedenktafel erinnert heute an den heiligen Ort der zerstörten Synagoge. 

Zum Abschluss unseres schönen historischen Rundgangs gab es ein ganz anderes Thema zu den Prominenten der Stadt. Uns wurde ein Gedenkstein für den berühmten Schriftsteller Harry Thürk, der hier in Zülz geboren wurde und einst gelebt hatte, gezeigt. Harry Thürk hatte hier in Zülz auch die Schule besucht und später insgesamt mehr als 60 Bücher geschrieben, darunter Romane wie „Die Stunde der toten Augen“, Dokumentationen, Reportagen und Krimis. Seine Romane haben dazu beigetragen, dass viel über die Geschichte des II. Weltkrieges und diese Region bekannt wurde. 

Wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr bei der 800-Jahr-Feier von Zülz/Biala dabei sein können.