Müggelheimer Bote
14. Jahrgang, Ausgabe 4/2008
Mai 2008
Müggelheimer Bote

Inhalt
Radfahrer leben gefährlich
Mit Zauneidechsen auf du und du
Großer Frühjahrsputz in Wäldern und Wiesen
Müggelheim wird barrierefrei
Anhörung zum BBI endete mit Eklat
Wie der Wald gepflegt werden soll
Leben wie im Mittelalter
Weitere Meldungen
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Leben wie im Mittelalter

Müggelheimer Paar frönt seiner Leidenschaft für Rittersleut'

von Simone Jacobius

Hell klingt das Schlagen von Metall durch die Luft. Martialisch anmutende Männer eines anderen Zeitalters schlagen mit riesigen Schwertern aufeinander ein. Frauen in langen Gewändern stehen daneben, halten ein Schwätzchen und interessieren sich nicht weiter für die Männer in Kettenhemd und Lederwams. Vor kurzem wurde die Kirchenwiese am Ortseingang für einen Nachmittag ins Mittelalter zurückversetzt. Die „Dyraner“ eine mittelalterliche Rittertruppe hatte sich zum Üben vor dem Saisonstart in Müggelheim getroffen. Und der „Ritter von Müggelheim“, samt Gemahlin, waren dabei: Detlef und Janine Borkowski aus dem Ludwigshöheweg.

Detlef und Janine Borkowski, unsere Müggelheimer Rittersleut' alias „Saladin” und „Elaine vom See”. Fotos: Jacobius

Die etwa 20 Dyraner stellen mit ihren Waffen und Gewändern Menschen aus dem 9. bis 13. Jahrhundert dar. Wie eine große Familie frönt die Truppe gemeinsam ihrem Hobby. Sie kommen aus Berlin und seinem Umland. Die Wege zu den ein bis zwei Treffen im Monat sind weit für die 4- bis 50-jährigen Mitglieder.

Doch wie kommt man dazu, sein Leben zweigeteilt in der Jetztzeit und im Mittelalter zu verbringen? „Wir sind über unseren Sohn da herangebracht worden. Er nahm uns vor fünf Jahren mit zum Ritterspektakel nach Bruchmühle. Wir haben uns noch schnell passende Gewänder genäht und dann ging‘s los“, erzählt der „Ritter von Müggelheim“. Bei dem Ritterspektakel trafen sie Gleichgesinnte, die auch Spaß am Mittelalter hatten, aber keine Vereinsmeierei mochten. „Wir haben uns locker zusammengeschlossen, ohne Verpflichtungen und sind auch immer offen für Neuzugänge“, erzählt Borkowski, der als Ritter den Namen Saladin trägt. Er gehört zu den ganz wenigen Sarazenen, die es in und um Berlin gibt.

Einzige Voraussetzung der Dyraner: Die Mitglieder müssen sich für eine Epoche entscheiden und sich dementsprechend gewanden. Doch da Gewänder und Waffen teuer sind, können sie auch erstmal klein anfangen. Über Thea Niklas, der das Rittergut Dyrotz in der Wustermark gehört, haben die Dyraner auch einen Stammsitz bekommen.

Robert Hinkel, alias Ritter Robert von Zadora, entwickelte über das Lesen seine mittelalterliche Leidenschaft. Er hat viel über diese Epoche gelesen, hat Mittelalterfeste besucht und irgendwann beschlossen, mitzumachen. Seit 2006 ist er mit seiner ganzen Familie bei den Dyranern. Sohn Erik ist jetzt fünf und fungiert als Page mit Schwert und Streitaxt – natürlich an der Seite seines Papas, eines normannischen Ritters des frühen 13. Jahrhunderts.

Zwei gut gerüstete Ritter im Zweikampf in Müggelheim.

Ein-, zwei Mal im Monat treffen sich die Dyraner – im Winter zum Trainieren und im Sommer zu irgendwelchen Ritterspektakeln. „Es ist jedes Mal wie ein kleiner Umzug“, lacht Janine Borkowski, alias Elaine vom See. Neben den Zelten ziehen dann Truhen, Teppiche, Wasserpfeife und Pranger mit um – natürlich auch altes Ton- oder Messinggeschirr und große Kessel zum Kochen auf dem Lagerfeuer. Alles aus dem modernen Zeitalter ist bei diesen Treffen verpönt. Wasserflaschen müssen in den Truhen verschwinden, Handys sind nur für den Notfall – versteckt – dabei. Gerade mal Brillen sind erlaubt. Und für die Hygiene gibt es einen großen hölzernen Badezuber mitten auf dem Marktplatz. „Da muss man sich erstmal überwinden“, lacht Janine Borkowski.

Wenn der Partner bei diesen mittelalterlichen Treffen, die zum Teil über mehrere Tage gehen, nicht mitzieht, ist die Ehe in Gefahr, weiß „Elaine vom See“ aus vielen Erzählungen anderer Rittersleut. Zu zeitaufwändig ist dieses Hobby – und auch teuer. Und weil Neuanschaffungen so teuer sind, ist Kreativität angesagt. Janine Borkowski ist von Beruf Kostümschneiderin. Daher näht sie alle Gewänder für sich und ihren Mann selber. Teilweise aus billigen Fleecedecken oder eine Pelzjacke, die umgearbeitet wird. Orientalische Stoffe werden preiswert auf dem Türkenmarkt am Maybachufer gekauft. Anregungen kommen aus Fachzeitschriften, Büchern und alten Filmen. „So manchen mittelalterlichen Film haben wir uns 5 oder 6 Mal angeschaut, um uns die Gewänder richtig einzuprägen“, lacht Borkowski.

Aus ausrangierten Satellitenschüsseln entstehen dann schon mal Schilde, aus alten DDR-Schnapprollos können Speere entstehen und Material für Lanzen bekommt man preiswert im Baumarkt. Nur bei Kettenhemden, Stiefeln und Schwertern hört die Eigenkreativität auf.

Nur ein Teil der „Dyraner”, alle bekommt man selten zusammen. Foto: Niklas

Die Dyraner sind übrigens eine der wenigen mittelalterlichen Truppen, bei denen noch wirklich gekämpft wird. Deswegen hallen die Metallklänge schwer durch den Müggelwald. „Wir wollen authentisch kämpfen, aber trotzdem geht die Sicherheit vor“, erläutert Borkowski. Deswegen gehören dicke Lederhandschuhe, Helm, Kettenhemd und Stulpen zur Grundausstattung. Das dennoch ab und zu etwas passieren kann, haben sie schon oft genug zu spüren bekommen.

Auch in Müggelheim erlitt ein Finger heftige Blessuren. Waffen dürfen übrigens nicht scharf sein, weil sie dann auch rechtlich unter den Begriff „Waffen“ fallen würden – und die sind verboten. Also wird mit schweren aber stumpfen Schwertern, Äxten und Lanzen gekämpft.

21 Kilo wiegt so ein Kettenhemd. Ein Hänfling darf man also nicht sein, um das tragen zu können. Großes Augenmerk legen die Ritter von Dyrow auch auf die Pflege ihrer Ausstattung. Alles wird nach jedem Einsatz gefettet und geglättet.

Übrigens sind neue Ritter jederzeit bei den Dyranern Willkommen. Einzige Voraussetzung: Begeisterung und ein Gewand. Interessierte unter 18 Jahren dürfen allerdings nur gemeinsam mit einem Erziehungsberechtigten mitmachen. Ab 18 Jahren ist jeder Willkommen. Infos bei Ehepaar Borkowski unter Tel.: 0172-312 67 58