KZ-Häftlinge bauten Behelfsheime
Ausstellung im Dorfklub beleuchtet die Historie der Siedlungen
von Marianne Schäfer
Pünktlich zum diesjährigen Angerfest hatte die Arbeitsgruppe Heimatmuseum / Baeyer –Grottewitz – Gedenkstätte, eine informative Ausstellung erarbeitet und im Dorfklub ausgestellt. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der damaligen Kriegszeit wurden auch für mich die Erinnerungen an diese Zeit wieder gegenwärtig. Ich habe das Geschehen als neunjähriges Kind einfach so hingenommen. Erst später begriff ich die Dramatik dieser entsetzlichen Zeit. Angst und Schrecken, Tot und Trauer, Verlust und Not waren die Zeitumstände, mit denen man leben musste.
Im Kriegsjahr 1943 war für mich die Welt hier in Müggelheim noch friedlich, ja paradiesisch. Blühende Bäume, Garten, Wald und Felder lagen in der sommerlichen Sonne. Sand zum Spielen und kein Schulunterricht. Jeden Tag ging ich ins Dorf um Milch zu holen. Barfuß lief ich den sandigen Krampenburger Weg hinunter, bis links auf die große Wiese, in der immer so viele bunte, kleine Blümchen blühten. Diese überquerte ich in Richtung Sobernheimer Straße und Dorf. Kein Baum, kein Haus und ich hatte einen weiten Blick über die Felder bis zu den Müggelbergen. Dann ging ich ein Stück die Sobernheimer Straße entlang, bis ich im Dorf war. Hier im Schatten der Kastanienbäume ging ich zum Bauern Hembt. In der kühlen Milchkammer wurde meine Milchkanne mit dem Litermaß voll Milch geschöpft.
|
Fakten, welche wir erst jetzt erarbeitet haben, kannte ich damals nicht. Groß war die Wohnungsnot in jener Zeit. Am 9. September 1943 wurde eine Weisung erlassen, Wohnraum für ausgebombte Bürger zu schaffen. Robert Ley war Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Leiter der deutschen Arbeitsfront. Nun erhielt er noch den Auftrag, die Organisation des Deutschen Wohnungshilfswerk zu leiten. Er wies die Gauleiter als Verantwortliche an und letztendlich mussten die Bürgermeister und die örtlichen Parteivorsitzenden die Maßnahmen vor Ort treffen. Zur Ausführung wurden Betriebe und wegen Arbeitskräftemangel auch Zwangsarbeiter und Arbeiterrinnen verpflichtet und in Lagern untergebracht. In Müggelheim wurden aber die Behelfsheime von Männern aus einem KZ gebaut.
Mitte April 1944 traf das Arbeitskommando 2b des KZ Sachsenhausen in Müggelheim ein. Sie mussten zunächst das Lager aufbauen, in dem sie dann zehn Monate hausten. Wo die etwa 30 bis 40 Strafgefangenen untergebracht waren, bevor das Lager fertig war, ist nicht bekannt.
Auf dem Terrain an der Sobernheimer Straße 23, Ecke Wiesbacher Weg wurde das rechteckige Lager mit einem doppelten Stacheldrahtzaun eingezäunt. An jeder Ecke wurde ein Wachturm errichtet, welcher von je einem Wachposten mit Fernglas besetzt war. Der Eingang war vom Wiesbacher Weg. Zwei lange Barackenzeilen wurden dann, parallel zur Sobernheimer Straße gebaut, so dass ein Innenhof entstand. Die Aufteilung der Räume ist im Nachhinein nicht ganz klar. Vom Eingang am Wiesbacher Weg, die erste Baracke rechts vorn war der Raum, in dem die Strafgefangenen hausten. Die Betten waren dreifach übereinander. Strohsäcke und Pferdedecken waren alles, was sie zum Wärmen hatten. Es gab keinen Ofen in dem Raum. In einem folgenden Teil haben die Wachmänner geschlafen.
Später sollen sie in dem langgestreckten, aus Stein gemauerten Haus, an der Sobernheimer Straße, gewohnt haben. In Fortsetzung der langen Baracke im Lager, war möglicherweise die Küche. Darunter gab es einen Kellerraum, in dem Lebensmittel und Gemüse frostfrei, oder vor Wärme geschützt, gelagert werden konnten.
Die Barackenfront gegenüber, aber innerhalb des eingezäunten Geländes, war möglicherweise zuerst für Geräte, später für etwa 3 bis 5 Pferde, welche für die Front nicht tauglich, aber zum Ziehen der Loren, beladen mit Trümmersteinen noch gut waren. Der letzte Teil der Baracke war vermutlich ein Arbeitsraum für die Küche.
Auf gleicher Höhe, an der rechten Seite der Sobernheimer Straße wurde noch eine Baracke errichtet. Hier soll eine Waschküche und eine Art Waschraum eingerichtet gewesen sein. Der Fußboden war mit billigen Fußbodenfliesen verlegt, auch Wasser und der Abfluss waren installiert. Ebenso fand man dort einen Waschkessel mit Holzfeuerung.
Ich bin bei meinen Einkaufsgängen mehrmals neben dem Zug, der zu zweien gehenden Männer in blau-weißer Sträflingskleidung, gegangen. Sie wurden von SS Männern bewacht und durften mit niemanden sprechen. Auch wir durften sie nicht ansprechen. Sie liefen in Holzpantinen, oft ohne Strümpfe. Es waren Männer verschiedenen Alters und sie gingen schweigend mit gesenktem Kopf. Es ging so eine Traurigkeit von ihnen aus, sie taten mir leid. Ich weiß, dass manche Menschen bei Begegnung etwas Brot fallen ließen, oder eine Frühstücksstulle. Später, als schon einige Behelfsheime von ihnen gemauert und bezogen waren, hat eine Frau aus diesen Häusern beinahe jede Nacht heimlich Brot oder geschmierte Stullen an einer bestimmten Stelle durch den Zaun geschoben. Dieses Brot wurde immer untereinander geteilt. Das alles, obwohl es streng verboten war.
Die Arbeiten für die Errichtung der Behelfsheime verlief folgendermaßen: Die Trümmersteine aus Berlin wurden per Zillen auf dem Wasserweg bis zur Ablage, bei der Feuerwehr, gefahren. Die Steine mussten entladen werden und wurden zuerst mit schweren Holzschubkarren mit breitem Rad, von dort bis zu den Baustellen gefahren. Später wurden Schmalspur-Schienen verlegt. Die Loren mussten die Männer zunächst schieben. Erst als sie die alten Pferde hatten, wurde der Transport der Steine leichter. Alle gemauerten Stein-Behelfsheime mit Satteldach und wahrscheinlich auch die wenigen Häuser mit den Fertig-Betonteilen und den zwei Luftröhren, welche senkrecht stehend montiert wurden, sind von den Häftlingen gebaut worden. Ein ordentliches Fundament wurde durch eine Lage Steine ersetzt. Gemauert wurde ein halber Stein, Luftschicht, ein halber Stein. Dachbinder gab es nicht. Man hat Stangenholz aus dem Wald entästet, als Decke und Dachsparren genommen. Darauf kamen Schalbretter und Dachpappe. Der Boden war mit Schotter oder auch Kiefernnadeln isoliert. Der Fußboden bestand meistens aus einer dünnen Betonschicht. Die einfachen Fenster und die Tür waren vorgefertigt. Das Toilettenhäuschen im Garten war aus Holz mit Grube (Plumpsklo). Die Wohnfläche der Behelfsheime war in der Regel für zwei Räume konzipiert. Ein Wohn- Schlafraum und eine Küche. In dieser stand ein kleiner Kohleherd mit einem Blechrohr, welches durch die Wand zum Nebenraum und erst dann zum Schornstein führte.
Die Wohnfläche in den Behelfsheimen war 20 bis 22 qm groß. Zu jedem Behelfsheim gehörte ein Garten. Die Fläche war je nach Siedlung unterschiedlich groß. Etwa 400 bis 500 qm. Insgesamt wurden 18 ha Land auf Grund des Reichsleistungsgesetzes von den Müggelheimer Bauern, für die Errichtung der Behelfsheime mit Garten beschlagnahmt. Außerdem musste noch Land von der Stadt und von dem Berliner Stadtforst bereit gestellt werden.
Im Februar 1945 wurde das Lager 2b, des KZ Sachsenhausen in den süddeutschen Raum verlegt.
Die Ausstellung „Aus Not entstanden – Die Behelfsheimsiedlungen in Müggelheim“ ist bis Ende August wochentags von 10 bis 14 Uhr, und von 17 bis 18 Uhr im Dorfklub zu besichtigen.
|