Müggelheimer Bote
12. Jahrgang, Ausgabe 6/2006
Juni 2006
Müggelheimer Bote

Inhalt
Schippert F21 bald nach Müggelheim?
Angerfest: Gaudi für Jung und Alt
25 Jahre Partnerschaft mit Rottevalle
Die Feuerwehr sagt danke!
Sind wir im Paradies gelandet?
Oldtimer im Anrollen
Weitere Meldungen
Karikatur
Gedanken aus Müggelheim
Aus den Vereinen
Jugendclub Mügge
Aus der BVV
Kleinanzeigen
Heimatverein
Kirche
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
© 2006
Müggelheimer Bote
 

25 Jahre Partnerschaft mit Rottevalle

Ein Rückblick von Pfarrer Siegfried Menthel

Es war an einem Abend Ende Oktober 1980 im Gemeindehaus der evangelischen Sophiengemeinde in der Großen Hamburger Straße. Unter dem Motto „Vertrauen riskieren“ hatte eine Arbeitsgruppe die Ostberliner Kirchengemeinden zu einer Friedenswoche eingeladen. Zu dieser Arbeitsgruppe, die aus Vertretern sehr disparater kirchlicher Gruppen zusammengesetzt war, die sich aber bei der gemeinsamen Arbeit erstaunlicherweise näher kamen, gehörte auch ich.

Dies war nun unser zweiter Versuch. Im Jahr zuvor hatte es die erste Friedenswoche gegeben - 40 Jahre nach Beginn des 2. Weltkrieges. Das Engagement der Beteiligten war groß, das Echo in der kirchlichen Öffentlichkeit dürftig. Da kamen dann an so einem Abend etwa 60 Leute, obwohl in allen Ostberliner Kirchengemeinden eingeladen worden war. Inspiriert wurden wir von Anfang an von der Friedensarbeit der Kirchen in den Niederlanden.

Müggelheimer und ihre Gäste aus Rottevalle beim Tagesausflug vor Schloss Paretz. Foto: Svante Pieper

Schon im Jahr 1962 hatte die Synode der großen protestantischen Kirchen einen Hirtenbrief „zur Frage der Atomwaffen“ veröffentlicht und darin ein „Nein ohne jedes Ja“ zur atomaren Bewaffnung ausgesprochen. Katholische und protestantische Kirchen hatten sich mit dem „Interkerkelijk Vredesberaad“ (IKV) - übersetzt: interkirchliche Friedensberatung - ein Gremium geschaffen, das Jahr für Jahr im September eine Friedenswoche organisierte.

In mehr als 300 niederländischen Gemeinden bildeten sich IKV-Ortsgruppen. 1977 gab der IKV die Losung aus, „Schafft die Atomwaffen aus der Welt - beginnt damit in den Niederlanden“. Unter diesem Motto kam es dann, organisiert vom IKV, zu riesigen Massendemonstrationen in Amsterdam und Den Haag gegen Atomraketen.

Das war damals unser Vorbild, es gab wichtige Konsultationen über Friedensfragen zwischen den niederländischen und den evangelischen Kirchen der DDR.

Zurück zu jenem Abend im Oktober. Die Veranstalter waren noch mit den Vorbereitungen beschäftigt. In dem leeren Saal fiel mir eine junge Frau auf, die ich noch nicht kannte. Ich sprach sie an und erfuhr von ihr, dass sie aus den Niederlanden komme und dort von unserer Friedensbewegung gehört habe (!). Sie sei Pastorin einer mennonitischen Gemeinde und Mitglied einer IKV-Gruppe ihres Dorfes. Diese Gruppe habe sie zu unserer Friedenswoche geschickt mit dem Auftrag, zu versuchen, mit einer ostberliner Kirchengemeinde in Kontakt zu kommen um eine Partnerschaft zu etablieren.

Ich antwortete ihr, da sei sie bei mir schon an der richtigen Adresse, ich hätte gute Erfahrungen mit einer bestehenden Partnerschaft der Schmöckwitzer Gemeinde und der Gemeinde Wassenaar/NL (die damals schon sieben Jahre bestand). Aber ich hätte noch eine zweite Gemeinde: Müggelheim. Und großes Interesse an einer solchen Verbindung. Sie schrieb mir ihre Adresse auf ein Programmheft unserer Friedenswoche: Maria Postma, 9221 Rottevalle, Niederlande

Vier Monate später. Februar 1981. Ich kam mit meiner Familie gerade mit dem Trabbi aus dem Winterurlaub in Thüringen. Anruf von Familie Dr. König aus Müggelheim. Es seien vier Leute aus den Niederlanden eingetroffen. Die hätten an meiner Haustür vergeblich geklingelt und sich irgendwie zu ihnen nach Müggelheim durchgefragt. Ob ich nicht mal kommen könnte. Natürlich!

Das war der Beginn der Partnerschaft zwischen Christen aus drei verschiedenen protestantischen Kirchen in dem friesischen Dorf Rottevalle (in der Nähe von Groningen), die im IKV-Kern zusammenarbeiteten und der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Müggelheim.

Über ihre Motive, Kontakt nach Ostberlin aufzunehmen, sagte mir später die alte Bäuerin Anni Benedictus: „Wir waren gegen Kernwaffen. Wir haben demonstriert und wir sagten - ja, nicht alle Leute - wir sagten, das ist nicht genug. Auf der anderen Seite der Mauer wohnen auch Menschen. Wir wollten das Feinddenken durchbrechen.“

Solche Geisteshaltung und solche Entschlossenheit veranlasste unser Freunde in Rottevalle, uns - solange die Mauer uns trennte - Jahr für Jahr zu einem Wochenendseminar in Müggelheim zu besuchen. Darauf haben sie sich in ihrem Dorf den Winter über vorbereitet. Zu Pfingsten waren sie dann unsere Gäste. Wir sprachen über unsere gemeinsame Verantwortung für den Frieden, für die Erhaltung der Schöpfung, für Gerechtigkeit. Die Gäste aus Rottevalle gestalteten uns in Müggelheim Jahr für Jahr einen Pfingstgottesdienst.

Nach der Wende konnten wir uns gegenseitig besuchen. Damals reflektierten wir, was die Besuche aus Rottevalle uns in Müggelheim bedeuteten. Hier einige Stimmen aus der Müggelheimer Kirchengemeinde: „Ich habe in einem Institut gearbeitet, wo Westkontakte verboten waren. Die Begegnung mit den Niederländern hat mir den Rücken gestärkt. Ich habe einen aufrechten Gang gelernt und die Angst ein bisschen verlernt.” „Wir wurden moralisch aufgerichtet.” „Das Zusammensein mit ihnen hat mir geholfen, hier in der Gemeinde Fuß zu fassen.” „Wir haben durch die Niederländer ein neues Lebensgefühl kennengelernt. Das hat uns geholfen, die eigenen Probleme anders anzusehen. Sie verloren an Gewicht.”

Der eigene Horizont wurde erweitert. Als entlastend wurde angesehen, dass wir auch über die Nazizeit sprechen konnten. „Wir sind Brüder und Schwestern mit allen geworden. Nicht nur Partnergemeinden.“ „Es war ein sehr beglückendes und bereicherndes Erlebnis. Wirklich Ökumene. Das trägt mich bis heute.“

Es ist vor allem staunende Dankbarkeit, wenn wir an die 25-jährige Partnerschaft zurückdenken. Sie wurzelt im beiderseitigen Bedenken unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Christen. Solche Herausforderungen annehmend, sind wir uns auch menschlich näher gekommen und haben in Freud und Leid zusammengestanden.

Wir laden Sie herzlich dazu ein, unseren Freunden aus Rottevalle zu begegnen, wenn sie uns vom 25.-28. Mai in Müggelheim besuchen. Da werden viele andere Erinnerungen anklingen, die hier fehlen - aber wir wollen uns auch diesmal der Herausforderungen der Gegenwart stellen, wenn wir über den Islam und über unsere gemeinsamen Werte in Europa sprechen.