Der Möhreneintopfräuber

(eine wahre Geschichte)

von Ingrid Zweiniger

Strolch rannte durch den Müggelwald. Er war wütend und traurig zugleich. „Ich muss erst einmal meine Wut loswerden und ich glaube, das geht am besten, wenn ich herum renne oder wenn ich einen finde, mit dem ich quatschen kann. Vielleicht läuft mir unterwegs irgendein Tier über den Weg.”

Aber Strolch traf kein Tier. Er lief nach Hause, legte sich in seinen Sessel und versuchte zu schlafen und seinen Kummer zu vergessen.

„Traurig sieht er aus, dieser Hund”, dachte Onkel Susi, als sie am Sessel vorbeikam, „was hat er denn? Ob ich ihn wach mache?”

Aber da kam Frauchen und jagte Onkel Susi weg. „Lass ihn zufrieden, er fühlt sich nicht wohl.”

„Warum?”, wollte Onkel Susi wissen. „Das kann er dir selber erzählen, wenn er es will.”

Also setzte sich Susi vor den warmen Kamin und beobachtete den Sessel. Und weil es so schön warm und gemütlich war und das Sesselbeobachten so langweilig, schlief Onkel Susi ein. Als sie aufwachte, war Strolch verschwunden. „Na prima, dann ist er bestimmt draußen im Garten.” Onkel Susi machte sich auf den Weg. Von Strolch war nichts zu sehen. Plötzlich kam er vom Nachbargrundstück. Er sah immer noch so traurig aus.

„Strulli, willst du mit mir sprechen? Ich sehe doch, dass du Kummer hast.”

Strolch sah seinen Kater an. Er lief an ihm vorbei. Dann drehte er sich um. Eine Träne lief aus seinen Hundeaugen.

„Komm, wir setzen uns in die Tannenhecke. Du hast Recht, ich muss meinen Kummer und meine Wut loswerden.”

Und da es ein schöner Tag war, die Sonne am Himmel stand und der Schnee langsam wegtaute, wurde es so richtig gemütlich zwischen den kleinen Tannenbäumchen. Strolch kuschelte sich an seinen Kater und fing an zu erzählen.

„Du weißt doch, dass ich ein bisschen verfressen bin. Kalle, ein Freund von Herrchen und Frauchen sagt, das hat was mit meinem Alter zu tun. Wenn man alt wird, dann frisst man mehr.” „Aber du bekommst doch bei uns zu Hause genug zu fressen. Du frisst mir ja sogar mein Katzenfutter weg, wenn Frauchen nicht aufpassen würde.”

„Ja, stimmt alles, aber was soll ich denn machen? Du weißt doch auch, dass ich überall Freunde habe, die mir Leckerli schenken.” „Aber das kann es doch nicht sein, was dich so traurig macht. Nun erzähle doch endlich.”

„Also, hör zu”, sagte Strolch, „eines Tages komme ich in den Nachbargarten von Thomas, wo ein Kochtopf auf der Terrasse steht. Ich nehme den Deckel ab und was ist drin in dem Topf? Ein leckerer Möhreneintopf. Der Möhreneintopf war gefroren, weil es ja vor ein paar Tagen noch richtig kalt war. Weißt du, wie anstrengend es war, den Eisklumpen aus dem Kochtopf zu kriegen? Aber ich habe es geschafft. Mit dem Möhreneiseintopf habe ich mich dann auf den Weg nach Hause gemacht. Weißt du, wie schwer das war? Der Eisklumpen war so groß, so schwer und so kalt, dass ich beinahe zusammengebrochen wäre. Als ich dann endlich zu Hause war, lege ich den Möhreneintopf-Eisklumpen vor unsere Haustür. Ich hatte einen richtigen Kälteschock. Ich habe so gezittert, dass ich dachte, ich muss sterben. Aber ich war stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte. In dem Moment kommt Frauchen aus dem Haus, sieht den Möhreneiseintopf, haut mir eine auf den Hintern, schimpft, ich wäre ein Dieb, ein Räuber und schmeißt den Eintopf weg. So, nun weißt du, warum ich wütend und traurig bin. Wütend, weil ich Dresche bekommen habe und weil ich ein Räuber sein soll. Und traurig bin ich, weil mir Frauchen meine Beute weggenommen hat. Frauchen ist dann zum Nachbarn gegangen und hat sich bei ihm entschuldigt. Und weißt du, was die alle gemacht haben? Die haben gelacht, gelacht und gelacht. Die konnten gar nicht mehr aufhören. Verstehst du das?”