Schönefeld: Planfeststellungsbeschluss liegt vor
„Lebensqualität in Müggelheim grundsätzlich vermindert“
von Gunnar Suhrbier
Das Planfeststellungsverfahren für den geplanten Bau eines internationalen Großflughafens in Berlin-Schönefeld hat mit der Bekanntgabe einiger Details aus dem Planfeststellungsbeschluss am 13. August seine Schlussphase erreicht.
Der Textteil des Dokumentes mit insgesamt 1171 Seiten und einige Pläne sind unter www.mswv.brandenburg.de jetzt auch im Internet verfügbar.
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Die Abfertigungshalle, wie sie nach einer Computer-Simulation einmal aussehen soll. Simulation: Blue Multimedia / Berliner Flughäfen |
Am 20. August ist die bevorstehende öffentliche Auslegung in einer Bekanntmachung in der Berliner Presse angekündigt worden. Danach kann jeder Bürger vom 6. bis 20. September während der Dienststunden an verschiedenen Orten den kompletten Planfeststellungsbeschluss einsehen. Die nächstgelegene Auslegungsstelle ist für Müggelheim ist das Rathaus Köpenick, Raum 107: Mo-Mi 8-16 Uhr, Do 8-18 Uhr, Fr 8-15 Uhr.
In der Bekanntmachung wird hervorgehoben: „Der Beschluss gilt mit dem Ende der Auslegungsfrist allen Betroffenen und denjenigen gegenüber, die Einwendungen erhoben haben, als zugestellt (§74 Abs.5 Satz 3 i.V.m. Abs.4 Satz 2 VwVfGBbg).“
Für in Müggelheim Wohnende enthält der Planfeststellungsbeschluss einige interessante Details. Wer bisher geglaubt hatte, in dem Dokument einen von der Behörde verfügten Entschädigungsanspruch für die eingeschränkte Nutzbarkeit des Außenwohnbereiches zu finden, wird enttäuscht. Das Gebiet, in dem ein solcher Entschädigungsanspruch für den Außenwohnbereich planfestgestellt wurde (Leq3 = 65 dB(A) außen, 6-22 Uhr), endet bereits westlich der Dahme an der Görlitzer Bahn (Karte Entschädigungsgebiete).
Nach Ansicht der Planfeststellungsbehörde werde die zu erwartende Fluglärmbelastung in Müggelheim die Lebensqualität der Bevölkerung zwar grundsätzlich vermindern, jedoch keine erhebliche Beeinträchtigung für die Menschen darstellen: „Abgesehen von gewissen Einschränkungen in der Nutzung von Innenräumen (z.B. ist der gesunde Nachtschlaf teilweise nur noch mit gekipptem bzw. geschlossenem Fenster mit Belüftungseinrichtungen, ungestörte Kommunikation nur bei geschlossenen Fenstern möglich) verbleiben aber insbesondere in den Freiraumbereichen (also den Bereichen außerhalb von Innenräumen, wie z.B. Terrassen, Balkone, Gärten, Marktplätze) Belästigungen, die aus Sicht der Planfeststellungsbehörde nicht weiter vermeidbar sind und die die Lebensqualität der Bevölkerung grundsätzlich vermindern.“ … „Darüber hinaus werden weitere Siedlungsbereiche in der Umgebung infolge des Ausbaus in einer nicht völlig unerheblichen Weise stärker als bisher von Lärm beeinträchtigt. Hier liegen die zu erwartenden Lärmwerte zwar unterhalb der für die Zumutbarkeitsbeurteilung und damit für Maßnahmen des passiven Schallschutzes maßgebenden Grenzwerte, aber noch in einem für die Abwägung erheblichen Bereich. So wird in einem großen Bereich in der Umgebung des Flughafens ein Dauerschallpegel Leq(3,Tag) von mehr als 55 dB(A) außen überschritten. Dieser Bereich beginnt östlich von Müggelheim (Berlin Treptow-Köpenick) und Gosen und erstreckt sich bis Ludwigsfelde im Westen (siehe Band M 4, Karte M 4.1-7). Diese Verlärmung ist unvermeidbar, stellt aber nach den in Kapitel Lärm dargestellten Beurteilungsgrundlagen für die Auswirkungen des Fluglärms keine erhebliche Beeinträchtigung für das Schutzgut Mensch dar.“ (S. 1141).
Ein kleiner Teil von Müggelheim liegt im sogenannten „Tagschutzgebiet“, ein größerer im „Nachtschutzgebiet“. Das Tagschutzgebiet (Leq3 = 60 dB(A) außen, 6-22 Uhr) umfaßt nur wenige Grundstücke am Südende von Eppenbrunner/Grünstadter/Enkenbacher Weg/Sobernheimer Str. Im Planfeststellungsbeschluss ist die Lärmbelastung für dieses Gebiet so charakterisiert: „Zukünftig werden [tagsüber, G.S.] im westlichen Bereich von Müggelheim bis zu 145 Flugbewegungen einen maximalen Schallpegel von 70 dB(A) im Freien überschreiten. Der mittlere Maximalschallpegel erreicht in Müggelheim Werte von bis zu 71,5 dB(A).“ (S. 610). Für diese Grundstücke gilt hinsichtlich des passiven Lärmschutzes: „Für Wohnräume, Büroräume, Praxisräume und sonstige nicht nur vorübergehend betrieblich genutzte Räume in der Umgebung des Flughafens sind geeignete Schallschutzvorrichtungen vorzusehen. Die Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch die An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren A-bewerteten Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten. Innerhalb des Tagschutzgebietes haben die Träger des Vorhabens auf Antrag des Eigentümers eines Grundstücks, das am 15.05.2000 bebaut oder bebaubar war, für geeignete Schallschutzvorrichtungen an den Räumen Sorge zu tragen. Außerhalb des Tagschutzgebietes ist durch eine Einzelfallprüfung das Erfordernis von Schallschutzvorrichtungen durch den Eigentümer eines Grundstückes, das am 15.05.2000 bebaut oder bebaubar war, durch eine Geräuschmessung außen nachzuweisen. Die Kosten für den Nachweis, die Einzelfalluntersuchung und die geeigneten Schallschutzvorrichtungen tragen im Fall des Erfordernisses die Träger des Vorhabens.“ (S. 105).
Das sogenannte „Nachtschutzgebiet“ (Umhüllende von Leq3 = 50 dB(A) außen, 22-6 Uhr und 6 x Lmax = 70 dB(A) außen, 22-6 Uhr) umfasst etwa die Hälfte der Fläche Müggelheims. Alle Grundstücke, die südlich der grob angenommenen Linie Am Müggelberg/Grünstadter Weg – Schule Odernheimer Str. – Staudernheimer/Duchrother Str. liegen, gehören dazu. Im Planfeststellungsbeschluss ist die nächtliche Lärmbelastung für dieses Gebiet so charakterisiert: „Zukünftig werden in den südlichen Bereichen von Müggelheim bis zu 27 Flugbewegungen pro Nacht einen maximalen Schallpegel von 60 dB(A) im Freien überschreiten.“ (S. 617). Hier gilt hinsichtlich des passiven Lärmschutzes: „Für Schlafräume einschließlich der Übernachtungsräume in Beherbergungsstätten in der Umgebung des Flughafens sind geeignete Schallschutzvorrichtungen vorzusehen. Die Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern und ausreichender Belüftung keine höheren A-bewerteten Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten und ein für die Nachtstunden (22:00 bis 06:00 Uhr) der sechs verkehrsreichsten Monate ermittelter energieäquivalenter Dauerschallpegel von 35 dB(A) nicht überschritten wird. Ist der gebotene Schallschutz nur dadurch zu bewirken, dass die Fenster der Räume geschlossen gehalten werden, ist für geeignete Belüftungseinrichtungen an diesen Räumen Sorge zu tragen. Innerhalb des Nachtschutzgebietes haben die Träger des Vorhabens auf Antrag des Eigentümers eines Grundstückes, das am 15.05.2000 bebaut oder bebaubar war, für geeignete Schallschutzvorrichtungen einschließlich geeigneter Belüftung an den Räumen Sorge zu tragen. Außerhalb des Nachtschutzgebietes ist durch eine Einzelfallprüfung das Erfordernis von Schallschutzvorrichtungen einschließlich Belüftung durch den Eigentümer eines Grundstückes, das am 15.05.2000 bebaut oder bebaubar war, durch eine Geräuschmessung außen nachzuweisen. Die Kosten für den Nachweis, die Einzelfalluntersuchung und die geeigneten Schallschutzvorrichtungen einschließlich Belüftung tragen im Fall des Erfordernisses die Träger des Vorhabens.“ (S. 106).
Die Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Beschlusses enthält den wichtigen Satz: „Gegen diesen Planfeststellungsbeschluss kann innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung [also innerhalb eines Monats ab dem 20.9.2004, G.S.] beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich Klage erhoben werden.“ (S. 1171). Es werden viele Tausend Betroffene sein, die mit einer Klage gegen den Beschluss vorgehen. Wie das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Klageflut zurechtkommen wird, ist derzeit nicht zu erkennen. Auch hinsichtlich der Unabhängigkeit und Neutralität dieses Gerichtes dürften nach den jüngsten Äußerungen einer Sprecherin dieses Gerichtes (Financial Times Deutschland vom 20.8.04) Zweifel bestehen. „Wir denken nicht, dass das Projekt als solches scheitern wird“, sagte die Gerichtssprecherin. Eine Ablehnung sei nur „theoretisch möglich“. Es sei aber denkbar, dass das Gericht das brandenburgische Verkehrsministerium als Genehmigungsbehörde verpflichtet, zusätzliche Auflagen zu machen. Das würde dann im Wege eines Planergänzungsverfahrens geschehen, betonte die Sprecherin. Man kann die Äußerungen nur so interpretieren, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits vor Veröffentlichung des Beschlusses und dem Eingang der ersten Klage die Absicht hat, das Projekt mit grünem Licht passieren zu lassen – ein in der Justizgeschichte der Bundesrepublik ungeheuerlicher Vorgang, der an eine Bananenrepublik erinnert.
Eine wenig beachtete Einzelheit möchte ich hier deutlich hervorheben: Der Planfeststellungsbeschluss genehmigt den Bau eines unabhängig zu betreibenden Parallelbahnsystems aus zwei Start- und Landebahnen ohne eine Einschränkung hinsichtlich der maximal zulässigen Anzahl von Flugbewegungen. Im Planfeststellungsantrag ist für alle Aussagen über dieses System eine Kapazität von 360.000 Flugbewegungen pro Jahr angenommen worden. Die technisch mögliche Kapazität eines solchen Parallelbahnsystems liegt jedoch weit höher: ca. 500.000 Flugbewegungen pro Jahr (ca. 55 Mio Passagiere/Jahr). Der Flugplatzbetreiber kann also ohne ein weiteres Planfeststellungsverfahren – also ohne erneute Beteiligung der Öffentlichkeit – sowohl die technisch mögliche Kapazität des Flughafens ausnutzen, als auch weitere Abfertigungsgebäude auf seinem Gelände errichten. Beides ist durch den Planfeststellungsbeschluss behördlich genehmigt und nach Eintritt der Rechtskraft nach meiner Auffassung auch nicht mehr angreifbar!
Fragen Sie mich, ob eine Klage gegen diesen Planfeststellungsbeschluss überhaupt Sinn hat, so erinnere ich Sie gern an den bekannten Satz: Wer nicht kämpft, hat schon verloren! Natürlich kann es sein, dass wir unterliegen, dass wir keine unserer Forderungen durchsetzen und am Ende hilflos mit ansehen müssen, wie nicht nur über unsere Köpfe hinweg regiert, sondern auch geflogen wird. Aber wir haben es dann wenigstens probiert! Wir haben nicht kampflos mit zugesehen, wie sachfremde Erwägungen von Politikern die Grundlage für menschenverachtende Projekte werden. Wir haben versucht, die ständige Vertuschung von Tatsachen und die Lügen der Planer und Politiker offenzulegen und anzuprangern. Und wir haben vertraut in die Gewaltenteilung eines demokratischen Rechtsstaates, in dem einfache Bürger die Entscheidungen der Behörden von Gerichten prüfen lassen können.
Meine Gegenfrage an Sie lautet daher: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, welche Nachteile Sie zu befürchten haben? Spätestens wenn in Müggelheim mindestens 500 Flugzeuge pro Tag über Ihren Kopf donnern, werden Sie einsehen, dass das Kaffeetrinken im Garten keinen Spaß mehr macht, Ihr ständiges Schlafdefizit die Ursache Ihrer Migräne ist und Ihre Gäste andere Erholungsgebiete vorziehen werden. Für Ihre gesundheitlichen Probleme interessiert sich dann aber kein Politiker mehr und den Wertverlust Ihres Grundstücks ersetzt Ihnen voraussichtlich auch niemand in der Höhe, in der er zweifellos eintreten wird. Gegen diese Nachteile sind Tausend Euro, die Sie eine Klage womöglich kosten wird, nicht der Rede wert.
Ich jedenfalls bin einer der Kläger und freue mich schon darauf, das Scheitern des Projektes gemeinsam mit Ihnen bei einer großen Kaffeetafel auf dem Dorfanger feiern zu können!
Hinweis: Die Ortsbezeichnung „Müggelheim“ tritt bei der im Internet veröffentlichten Textfassung des Planfeststellungsbeschlusses auf folgenden Seiten mindestens einmal auf: 249, 595, 610, 611, 615, 617, 619, 776, 852, 873, 911, 947 … 950, 960, 981, 993, 1073, 1074, 1140, 1141, 1154.
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