6. Jahrgang, Ausgabe 01/2000 | |
Januar 2000 | Home | Archiv | Impressum |
Müggelheimerin erhielt das Bundesverdienstkreuz Ernsthaft und doch voller Lebensfreude: Veronika Fischer in concert BVBB eröffnet Informationsbüro in Müggelheim Ausstellung zum 60. Geburtstag des Karikaturisten Martin Jahn Persönlichkeiten: Ein schweres Leben - ein schönes Leben ?! Grußwort des Bezirksbürgermeisters Dr. Klaus Ulbricht
Serie für den Natur- und Gartenfreund Geschichten aus dem Müggelwald © 2000 Müggelheimer Bote Zuletzt aktualisiert am 07.01.2000 |
Persönlichkeiten, eine unregelmäßige Serie (XI)Ein schweres Leben - ein schönes Leben ?!Zu Besuch bei Charlotte Damm„Wenn es reicht, dann kann man schon zufrieden sein. Wenn was übrig bleibt, muss man dankbar sein.” Eine Lebensmaxime der Charlotte Damm, einem Urgestein Müggelheims. Heute 83-jährig, lebt sie seit 44 Jahren am Dorfanger.Sie kam damals, 1955, mit dem Vater nach Müggelheim, als der Onkel starb und ihr Haus und Hof überschrieb. Jahre vorher hatte sie sich schon um den Onkel gekümmert. War von Schulzendorf, wo sie geboren und aufgewachsen ist, mit dem Fahrrad oder dem Pferdefuhrwerk nach Müggelheim gefahren um den Onkel zu pflegen.
Was war ein Bündner? Ein Bauer. Kein reicher Bauer, aber auch keiner der Ärmsten. Der Bündner stand in der Hierarchie der Bauernkaste so ziemlich an letzter Stelle. Trotzdem reichte es der ganzen Familie zum Leben. Immerhin mussten sechs Familienmitglieder versorgt werden. Mutter, Vater und noch drei Brüder. Schon sehr früh wird die kleine Lotte in das Leben auf dem Hof, im Haus und auf dem Feld eingebunden. Sie lernt, sich um Tiere, Menschen und Pflanzen zu kümmern. Das Federvieh, Hühner, Enten und Gänse, wurde in riesigen Gehegen frei gehalten. Auch heute noch versorgt die 83-Jährige ihre 20 Hühner. Artgerecht natürlich, wie könnte es anders sein. Aber damals gehörten auch noch Schweine, Kühe und Pferde dazu. Einmal am Tag wurde die Milch abgeholt. Sie erinnert sich, dass sie schon vor Schulbeginn die Kühe gemolken hat. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie in ihrem Elternhaus eine Erziehung erfuhr, die auf die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur ausgerichtet war. „Wir leben von der Natur”, sagte der Vater immer. „Also hatten wir erst die Tiere zu versorgen und dann durften wir frühstücken. Mir hat das nicht geschadet. Ich bringe wenig Verständnis für die heutige Tierhaltung und die Bewahrung der Natur und Umwelt auf. Wir haben vergessen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Wir, die Menschen, und die Natur um uns herum”, sinniert Charlotte Damm. Sie hatte ein schweres Leben, ein Leben, reich an Entbehrungen.Da die Mutter schwer krank war, sie hatte ein Herzleiden, der jüngere Bruder oft kränkelte und die beiden älteren Brüder eine Ausbildung machten und den Hof früh verließen, lag die Last auf ihren und des Vaters Schultern. Der Vater nannte sie seine rechte Hand. Gerne hätte auch sie einen Beruf erlernt. Krankenschwester wollte sie werden. Vier Monate dauerte ihre Ausbildung, dann holte der Vater sie zurück. Die schwerkranke Mutter musste gepflegt werden - aus der Traum. Und so gab es viele Träume, die die junge Lotte träumen konnte, die aber nie in Erfüllung gingen. Auch mit 14 Jahren, zu ihrer Einsegnung, hatte sie solch einen Traum. Sie träumte von einem Einsegnungskleid ganz aus Samt. Der schlichte und einfache Kommentar der Mutter: „Wenn du das Geld hast, dann kannst du es dir ja kaufen.” Sie erinnert sich auch noch, dass sie von der Mutter ab und zu eine Mark bekam. Die sparte sie, um sich einmal im Jahr im Winter ein Paar Schuhe zu kaufen. Erst als sie 50 war, das war schon in den 60er Jahren, „da hatte ich Geld, um mir meine Wünsche zu erfüllen”, sagt sie. Und was sie später dann auch noch hatte - Zeit. Die harte Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend reduzierte sich mit den Jahren, je älter sie wurde und je mehr ihre körperliche Leistungskraft nachließ. Trotzdem wird sie die harten Jahre nie vergessen. Sie haben ihr Leben ausgemacht und sie haben sie geprägt. Einsamkeit ist ein Fremdwort für Charlotte Damm. Ihre Devise: „Man muss auf die Menschen zugehen.” Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sie einmal im Monat ihr Haus öffnet für den Senioren-Kirchenkreis. Ein gemütliches Beisammensein; Kaffeeplausch und Gedankenaustausch über Gott und die Welt. Vom Fernsehen hält sie nicht viel. Lieber liest sie, sie ist ständiger Gast in der Autobibliothek, hört Radio oder legt Patiencen. „Und natürlich muss ich mich auch noch um meine Hühner kümmern und der Garten gehört ja auch noch dazu.” Als ich sie am Ende frage: „Ein schweres Leben?”, antwortet sie mir: „Ja, ein schweres Leben.” Auf die Frage: „Trotzdem ein schönes Leben?”, bekomme ich die Antwort: „Ja, es war ein schönes Leben, denn es ist ja mein Leben.” Ingrid Zweiniger |