Müggelheimer Bote
15. Jahrgang, Ausgabe 11/2008
November 2008
Müggelheimer Bote

Inhalt
Pläne für den Jugendclub "Mügge"
Einweihung des Friedenssteins
Wasserretter: Mehr Sachbeschädigungen
Jugendfeuerwehr beim Berlin-Marathon
Müggelseelauf: Ja, wo laufen sie denn ...
Dorfanger: "Früher war et anders"
Weitere Meldungen
NEU: MehrWert für Müggelheim
Karikatur
Gedanken aus Müggelheim
Aus den Vereinen
Aus der BVV
Neues aus Treptow-Köpenick
Leserbrief
Kleinanzeigen
Heimatverein
Kirche
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
© 2008
Müggelheimer Bote





Realisation:
www.lektoria.de
 

„Früher war et anders”

Ein historischer Blick auf den Dorfanger

von Marianne Schäfer

Es war Sonntag und ich fuhr mit meinem Fahrrad durch unser Dorf. Gerade ging ein Hoftor auf und ganz langsam schob die alte Müggelheimerin ihre Gehhilfe durch die kleine Tür. Wir begrüßten uns und dann sagte sie: „Ich will nur mal ins Dorf sehen.“ Dann: „Ich werde bald 92 Jahre, so alt ist man geworden, obwohl ich immer schwer gearbeitet habe. Auch schon, als ich noch ein Kind war.“

So begann unser Gespräch. Jetzt, am frühen Nachmittag, war der Autoverkehr noch nicht so stark, sonntäglich eben. Die Lindenbäume auf dem Anger standen im hellsten Goldgelb und bei leisem Herbstwind flatterten die Blätter wie Vögel oder Schmetterlinge durch die Luft. „Ach der Herbst – das war die Zeit wo die Kartoffeln aus der Erde geholt werden mussten“, sagte sie. „Ich erinnere mich an damals – einmal, da regnete es und wir waren alle nass. Auch die Erde und die Körbe und der Himmel schob noch mehr dunkle Wolken heran. Als wir endlich auf den Hof kamen, war der Dämpfer schon angeheizt. Wir wärmten unsere klammen Hände und den Leib nur kurz, denn das Pferd musste noch versorgt werden und die Kartoffeln unters Dach. Ja so war das früher und wenn wir uns was weggeholt hatten, na so schnell gingen wir nicht zum Arzt, das kostete doch Geld.“

Aber das ist doch sicherlich schon lange her, sagte ich zu ihr. Sie nickte und wir schwiegen eine Weile. „Wenn ich so über den Anger sehe“, begann sie wieder zu sprechen, „der Achim ist nicht mehr. Das war ein kluger und ein freundlicher Mensch. Ein Glück das seine Mutter noch vor ihm gestorben ist. Sie musste ja schon zwei Söhne unter die Erde bringen. Der Vater, das war einer... aber sie hatte ein ruhiges Gemüt. Der Hof war immer sauber.“ Sie streckte das Kinn vor und nickte zur gegenüber liegenden Seite des Dorfes. „Da drüben sind in den letzten Jahren viele gegangen. Der Erich – mag er gewesen sein wie er war, aber wenn er versprochen hatte mir zu helfen, da war er immer pünktlich. Da konnte man sich drauf verlassen. Aus dem großen Haus ist Tantchen gestorben und bald danach dann die Lotti.“ Sie sah eine Weile schweigend über den Anger.

Die Sonne kam noch mal hinter den Wolken vor und all die gelben Blätter leuchteten auf den Bürgersteigen und auf dem Rasen des Angers. Sie stützte sich schwer auf ihr Wägelchen. „Früher, als ich noch gut gehen konnte, da traf ich mal diesen oder jenen, da hat man immer mal was neues gehört. Einmal musste ich doch zum Doktor und der sagte, ich hätte dies und jenes. Da habe ich ihm gesagt: Nee Herr Doktor, so was habe ich nicht. Da hat der gelacht und gesagt, ich wäre ein Urgestein! Darauf sagte ich, dass er doch wohl Recht hätte. Jemand der so viel in seinem Leben gearbeitet hat und so alt geworden ist, muss wohl die Robustheit und die Härte eines Steines haben. Aber auch die Schlichtheit und die Lebensart, wie sie die Bauern früher so hatten.

Früher saßen wir im Sommer, wenn Feierabend war, auf der Treppe vor dem Haus. Das war schön. Da war auch nicht so viel Krach durch die Autos. Man konnte mal über den Anger rufen, oder man ging mal rüber. Ach, ist das lange her. Früher musste mir auch keiner rüber zur Kirche helfen. Da hatte ich den Schlüssel und oft war ich dort in der Kirche, da konnten die Leute rein, sich alles ansehen. Mit vielen habe ich gesprochen, da konnte man was lernen. Heute muss man mich führen, denn mir ist oft...,“ sie winkt ab. Sie sieht die Straßenfront runter, ruckelt mit dem Wägelchen. Meine Beine wollen nicht mehr. Ein Foto darf ich machen und ganz langsam geht sie durchs Tor. Alles Gute und einen friedlichen Abend wünsche ich ihr noch. Da fällt das Tor zu.

Langsam schiebe ich mein Rad durch das Laub. Angeregt durch das Gespräch sind meine Erinnerungen wach geworden. Wie gerne bin ich als Schulkind, wenn ich die Gelegenheit hatte, in die Ställe zu den Pferden, den Kühen und den Schweinen gegangen. Die Wärme und die Geborgenheit im Stall, der Geruch und die Kaugeräusche der Tiere, das Klirren der Ketten, das Quieken der Schweine. Auch das Schaben der Forken, wenn der Bauer den Mist von den Steinen des Stallbodens weg zog. Das Rascheln des Strohs, wenn es frisch in die Boxen und Stände eingestreut wurde. Heute sind die Ställe leer, es gibt keine Landwirtschaft mehr. Die Äcker sind verbuscht oder parzelliert und bebaut. Neue Siedlungen sind entstanden, die Einwohnerzahl hat sich nahezu verdoppelt. Sicherlich können sich die neuen Müggelheimer kaum vorstellen, das es hier ein richtiges Dorf mit Ackerbau und Viehzucht, wie man so sagt, gewesen ist. Ich hab die Menschen gekannt, die unseren sandigen Boden beackert haben. Ich habe gesehen, dass der Ernteertrag beinahe die Mühe nicht Wert war. Wir Schulkinder haben in den Kartoffelfeldern Kartoffelkäfer gesammelt und nach der Roggenernte noch Korn gestoppelt. Wie lange ist das her?

Bunt sind schon die Wälder, graue Nebel wallen und der Herbst ist da. Der November ist für das Nachdenken und das Erinnern die rechte Zeit. Langsam kehrt Ruhe ein. Wir schmücken die Gräber und immer mehr Grablichter leuchten in der Dunkelheit. Wir erinnern uns an die Menschen die uns voraus gegangen sind.