Müggelheimer Bote
13. Jahrgang, Ausgabe 05/2007
Mai 2007
Müggelheimer Bote

Inhalt
Alte Wasserrettungsstationen verschwinden
Angerfest wird groß gefeiert
Kinderfest mit Alpakas und Huskys
Schritt für Schritt zu einem schönen Erholungswald
Im Dienst einer gerechteren Welt
Katze in Not!
In Würde alt werden
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Im Dienst einer gerechteren Welt

Resumée der Gesprächsreihe „Perspektivwechsel“ im Dorfklub

von Siegfried Menthel

Das Gespräch kommt auf die wachsende Armut der einen und den zugleich wachsenden Reichtum der anderen. Einer sagt: „Na, mit dem Sozialismus sind wir auch nicht weiter gekommen.“ Achselzucken. Ein anderer fügt hinzu: „Und gegen die Macht des großen Geldes ist auch kein Kraut gewachsen.“ Achselzucken

Damit ist das Gespräch beendet. Denn es klingt wie ein Naturgesetz, dem man sich – wenn auch widerwillig – als vernünftiger Mensch beugen muss: Die einen müssen verarmen, weil die anderen noch reicher werden wollen. Dass dies alternativlos so ist, ist nach meiner Beobachtung verbreitete Mehrheitsmeinung. Natürlich frustriert das viele. Aber da sie keinen Ausweg sehen, leben sie so, als gäbe es keinen. Dieser resignativen Grundstimmung wollten wir mit unserer Gesprächsreihe im März/April in der Alten Schule zu Leibe rücken. Thema: „Perspektivwechsel“.

Zunächst ging es um die schlichte Einsicht, dass Geld kein Gott ist. Aber leider gibt es viel zu viele Menschen, die den Reichtum anbeten. Am Beispiel der jungen ungarischen Königstochter Elisabeth sahen wir, was geschieht, wenn ein Mensch aufhört, dem Reichtum zu huldigen.

Elisabeth wurde vor 800 Jahren in Sarospatak geboren. Frau Dr. Bärbel Kowalewski, Kunsthistorikerin aus Müggelheim, zeichnete in ihrem Vortrag ein farbiges Bild jener Zeit und vermittelte den zahlreich erschienenen Zuhörern anhand von mittelalterlichen Kunstwerken Lebensweg und Wirkungsgeschichte Elisabeths. In ihrem Wesen tief vom christlichen Glauben geprägt, zog Elisabeth schon in sehr jungen Jahren daraus soziale Konsequenzen.

So weigerte sie sich beispielsweise als Thüringer Landgräfin, Speisen zu sich zu nehmen, die aus von Bauern erpressten Abgaben stammten. Sie verlangte zu wissen, welchen Ursprung die Lebensmittel hatten, die auf ihren Tisch kamen. „Unsere Aufgabe ist es, die Menschen froh zu machen“, war ihre Devise. Darum ging sie weit über Wohltätigkeit hinaus – sie versetzte sich in die Lage der Armen. Sie wurde selber arm und hat doch viele reich gemacht, reich an liebevoller Zuwendung.

Vor allem: Sie hat über ihre kurze Lebenszeit hinaus eine leuchtende Spur in der Geschichte hinterlassen, die uns bis heute ermutigt, uns mit der Armut der Armen nicht abzufinden.

Genau dies vermittelte uns am zweiten Abend Dr. Jenny De la Torre. Die aus Peru stammende und in der DDR ausgebildete Kinderchirurgin betreut seit Anfang der 90er-Jahre die Obdachlosen in Berlin als Ärztin. Sie selbst hätte nach den ersten Jahren dieses ungewöhnlichen Dienstes (es war damals die erste Obdachlosen-Arztpraxis in Deutschland) in ihr spezielles Fachgebiet wechseln können. Doch sie entschied: „Ich muss für die Menschen da sein.“

Nach ihrer Erfahrung ist Obdachlosigkeit mehr als keine Wohnung zu haben: Alle Probleme sind auf eine Person gerichtet, die – wie in einem Gefängnis aus Glas – daraus nicht herauskommt. Frau De la Torre hat mit dem Preisgeld für die ihr verliehene Goldene Henne (25 000 Euro) eine Stiftung gegründet. Im Bezirk Mitte hat sie aus einer ihr vom Bezirksamt überlassenen ehemaligen Schule ihr „Traumhaus“ gestaltet. Dort werden Obdachlose von Ärzten verschiedener Fachrichtungen medizinisch betreut. Sie können dort duschen, essen und Kleider wechseln. Psychologische Betreuung und eine Rechtsberatung sind im Aufbau. Trotzdem: Nach ihrer Einschätzung ist die Situation für die Betroffenen seit Anfang der 90er-Jahre nicht besser, sondern schlimmer geworden. 70 Prozent der Obdachlosen leben in privat betriebenen Heimen ohne Betreuung. „Wenn jeder sein eigenes Zimmer und fachliche Betreuung hätte, gäbe es in der Stadt wesentlich weniger Obdachlose“, meint Dr. De la Torre. Bei den Zuhörern kam an diesem Abend der Wunsch auf, dieses Projekt sofort mit einer Spende zu unterstützen. Hier für alle Interessenten die Kontonummer der Stiftung: Jenny De la Torre-Stiftung, Kto. 66 0000 37 64, Blz. 100 500 00, Berliner Sparkasse.

Ronald Blaschke, Philosoph und Sozialwissenschaftler, war am dritten Abend unser Gast. Er ist Sprecher der sächsischen Armutskonferenz, die er mit aufgebaut hat, um Öffentlichkeit für das Problem „Armut“ schaffen zu helfen.

Er präsentierte schockierende Zahlen zu Armut und Reichtum in unserem Land. So beziehen sechs Millionen Menschen in Deutschland Leistungen auf Sozialhilfeniveau. Eigentlich seien es zehn Millionen, wenn man die verdeckte Armut noch hinzurechne. Die Zahl der Armen steigt!

„Steuerpolitik sorgt für Armut“, „Armut ist eine politische Konstruktion, die politisches Handeln herausfordert.“ Es sei nötig, das Thema öffentlich zu machen, es zu skandalisieren so Blaschke. Umverteilungsvorschläge, nicht nur in unserem Land, sondern im europäischen Rahmen müssten diskutiert werden.

Während ich diese Zeilen schreibe, flattert mir die Einladung zur 1. Berliner Armutskonferenz der Diakonie auf den Tisch. Ich erwähne das um zu sagen: Das Thema ist auf dem Weg in unser Bewusstsein.

Am letzten Abend hatten wir die Schriftstellerin Daniela Dahn zu Gast in Müggelheim. Sie las zunächst aus ihrem letzten Buch „Demokratischer Abbruch“ den Ausschnitt eines Textes, den sie in Erinnerung an Günter Gaus geschrieben hat: „Die extremen Ungleichgewichte in der Verteilung der Wohlfahrtsgewinne werden mehr und mehr zu einer Bedrohung der politischen und sozialen Stabilität weltweit. (...) Niemand braucht sich hierzulande vor umstürzlerischen Unterstellungen zu fürchten. (...) Das Grundgesetz ist so sozial intendiert, dass Kapitalismuskritik nicht nur gedeckt ist, sondern geradezu ein Verfassungsgebot darstellt.“ (a.a.o., S.35)

Daniela Dahn berichtete anschließend vom Weltsozialforum in Nairobi, an dem sie im Februar teilgenommen hatte. Bei diesen Foren treffen sich sozial engagierte Eliten aus der ganzen Welt, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, eine gerechtere Welt zu schaffen. 50- bis 60 000 Teilnehmer waren nach Nairobi gekommen. Auf die ungeduldigen Nachfragen von Zuhörern, was denn bei all dem herausgekommen sei, gab es keine kurze befriedigende Antwort. Es konnte sie nicht geben.

Aber eines kann gesagt werden: Wir hatten in Müggelheim die Chance, an diesen vier Abenden engagierten Menschen zu begegnen, die sich mit diesem Zustand der Welt nicht abfinden, die nach mehr Gerechtigkeit Ausschau halten und sich selbst für Alternativen einsetzen. Ich fand diese Begegnungen sehr ermutigend. Es muss nicht beim eingangs beschriebenen Achselzucken bleiben. Eine gerechtere Welt ist möglich. Einige arbeiten schon daran.