Geschichten aus dem Müggelwald |
Der Besuch
eine Geschichte von Anne Müller
Wohl aus Langeweile hatte damals das Ehepaar Schmettig-Haferdorn neben dem Gewächshaus und dem indischen Teepavillon einen großzügigen Koikarpfenteich nach japanischem Vorbild errichten lassen. Frau Schmettig- Haferdorn fühlte sich sichtlich stolz, denn sie hatte eigens die Edelfische aus Tokio einfliegen lassen.
Ein besonderer Koi, dessen vereinzelt rote Schuppen ein großes „E“ auf den sonst weißen Fischschuppen bildeten, war ihr besonders ans Herz gewachsen. Sie nannte ihn liebevoll Evchen. Evchen war zwar kein Weibchen aber er wurde sehr gern bei Barbecues und Gesellschaftsabenden den erstaunten Gästen präsentiert. Auch Morgen würde der Koi wieder helfen die peinlichen Redepausen im Smalltalk zu überbrücken und die Grillparty würde ein voller Erfolg werden. Schließlich kam der Kollege ihres Gatten mit einem wichtigen Kunden und …oh Graus…seiner anspruchsvollen Gattin.
Während Frau Schmettig- Haferdorn die Begrüßungsrede und die „Buffeteröffnung“ probte saß nicht weit vom Haus entfernt ein müder und zerzauster Reiher auf einer Erle. Harald, so hieß er, war soeben von einer Dienstreise aus Milano zurückgekehrt. Er hatte einen langen Flug hinter sich und ärgerte sich, dass er seinen Aktenkoffer über den Alpen verloren hatte. Zuhause erwarteten ihn eine nörgelnde Brut und seine unzufriedene Reiherfrau. Eben hatte ihn sein Chef angerufen, etwas Dringendes sei es gewesen. Und das traf wieder mal Harald. Kurz um, Harald war am Ende. Warum nicht alles aufgeben und wie die italienischen Spaghettireiher den lieben langen Tag in der Po-Ebene herumstochern? Harald seufzte, band seine Krawatte zurecht und flog zum heimatlichen Nistplatz. Seine Frau erwartete ihn schon mit gewetzten Krallen und grimmiger Mine.
Am nächsten Morgen, nach dem üblichen Gezeter, machte sich Harald auf den Weg zur Arbeit. Alle hatten auf ihn eingehackt und waren dann beleidigt ausgeflogen. Sein Chef hatte hohen Besuch. Es war der Professor Ergün aus Izmir. Harald kannte ihn gut. Vor zwei Jahren auf einer Tagung in Istanbul hielt der Professor einen erstaunlichen Vortrag über die nachhaltige Entwicklung der Fischwirtschaft im Mittelmeerraum. Der Professor war ein Pelikan und liebte seltene und deftige Fische. Am liebsten schwamm er mit offenem Schnabel in seichten Gewässern und berechnete die Wahrscheinlichkeit mit der ein Fisch direkt in seinen Mund schwimmen würde.
Harald verehrte den Professor und erhielt die ehrenvolle Aufgabe ihn und seine Familie zu betreuen. Harald schluckte. Sein Eheweib würde ihn umbringen und anschließend von der Nestkante stoßen. Er hatte versprochen keine Gäste mehr im Nest unterzubringen, nachdem der letzte Gast den gesamten Kühlschrank geplündert hatte. Und jetzt sollte eine ganze Pelikansippe auf seiner Erle hausen und sich verpflegen lassen. Harald sah sich verzweifelt um. Nicht weit entfernt lief eine nervöse und gereizte Frau Schmettig- Haferdorn im Garten auf und ab. Das Buffet war gerichtet, die Rede eingeübt, nur die Jazzkapelle für die musikalische Untermalung hatte sich verspätet. Ihr Gatte traf ein und erteilte weitere Aufgaben. Die Stimmung war gereizt. Frau Schmettig- Haferdorn platzte der Kragen: „Du kommst mal wieder wenn alles gerichtet ist und meckerst auch noch rum. Günter, ich halt das nicht mehr aus mit dir.“
Plötzlich hatte Harald eine Idee: Warum nicht die Familie Ergün bei den Schmettig- Haferdorns einquartieren? Bäume gab es genug und für das Abendessen war ein gemeinschaftlicher Ausflug zum Karpfenteich geplant. So etwas hatte der Professor bestimmt noch nie verspeist. Der Professor war einverstanden und man steuerte nun gemeinsam das vermeintliche Anwesen an. Harald flog erleichtert voran und dem Professor knurrte bereits der Magen. Stolz präsentierte Harald den müden Ergüns den Koikarpfenteich und erklärte den Abend als gelungen und das Buffet für eröffnet. Ohne Mühe verschwanden die Kois und das Evchen im großen Schnabel des Professors, auch seine Familie hatte sichtlich Appetit und der Teich war schnell geleert. „ Lieber Harald, meine Hochachtung für diesen gelungenen Abend. Ich werde dies positiv in meinem Protokoll vermerken.“
Frau Schmettig- Haferdorn war beim Umziehen als sie die schreckliche Nachricht erreichte. Der Gärtner berichtete von einem alten Pelikan, der entspannt mitten auf dem Teich schwamm. Alle Fische seien fort. Frau Schmettig- Haferdorn brach zusammen. Sie hatte Einladungskarten mit dem Bild von Evchen verteilt. Das Motto hieß: Evchen lädt ein…“ Der Abend war ruiniert. Ihr Gatte lachte laut als er es erfuhr. Die ersten Gäste trafen ein und die Jazzkapelle spielte leise los. Frau Schmettig- Haferdorn stieg in ihr Cabrio und fuhr ohne Gepäck zu ihrer Mutter nach Paderborn.
Harald war längst zu Hause. Er hatte pünktlich Feierabend gemacht und seiner Frau einen gelben Koi mitgebracht. Zärtlich schnäbelten sie miteinander und wer weiß vielleicht wurde in dieser Nacht eine neue glückliche Reiherbrut erzeugt.
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