Geschichten aus dem Müggelwald |
Eine Geschichte aus dem Müggelsee
von Anne Müller
Viele alte Geschichten und Sagen ranken sich um den Müggelsee. In grauen Vorzeiten auf Papier festgehalten und über Generationen weitervermittelt, fristen sie ein unendlich langes Dasein in unserer Gedankenwelt. Meine Geschichte hingegen handelt von der jungen Welsin Wilma, die just gerade am Seegrund schläft und wahrscheinlich alles bereits vergessen hat, während ich euch ihre Geschichte erzähle: Welsin Wilma hatte sich nämlich verliebt.
Sie lag am Grund und träumte von Horst. Seit jenem Tag dort oben am Schilfgürtel, als sie Horst das erste Mal erblickte, konnte sie keinen Gedanken mehr von ihm abwenden.
Horst war ein stattlicher Hecht mit schimmernden gelb-grünen Schuppen und einer schier endlosen Rückenflosse. Er hatte ihr damals im Schilf zugelächelt und war dann ganz plötzlich verschwunden. Und Wilma hatte sich in ihn verliebt. Wilma war durchaus nicht unattraktiv. Viele Welse, aber auch der korrekte Zackenbarsch Norbert, hatten schon lange ein Auge auf sie geworfen. Norbert hatte sie erst kürzlich auf ein Froschkonzert an der Uferpromenade eingeladen und ihr zärtlich mit der Rückenflosse zugewedelt. Aber Wilma beachtete ihn gar nicht. Sie dachte an Horst wie er in der Abendsonne im Schilf stand und seine Schuppen goldgrün glänzten.
Wenn ihr denkt, Fische weinen nicht, dann irrt ihr euch. Wilma weinte oft, wenn sie allein im Schlick begraben lag. Wäre sie doch damals nicht in das obere Wasser geschwommen. Nur ihre Neugier trieb sie dazu und nun hatte sie Sehnsucht. Tag für Tag.
Viele Wochen vergingen und Wilma hoffte ihren Traumhecht zu vergessen, aber Wilma war unsterblich verliebt. Was blieb ihr anderes übrig als eines Tages ihre Heimat, den Seegrund zu verlassen um Horst zu suchen. Sie ließ den Schlick, ihre Angehörigen und den hoffenden Norbert zurück und schwamm hinauf zu den Rahnsdorfer Bänken. Dort war sie damals Horst begegnet. Allerdings war jetzt kein Hecht zu sehen; nur eine ältliche Flusskrebsdame mit ordentlich viel Haaren auf den Scheren durchstöberte das Gebiet: „Na, junges Fräulein, haste dir wohl verirrt?“ Und mit nur einer Schere knackte sie ihre frisch erworbene Miesmuschel auf. „Nein, bestimmt nicht.“ Wilma erzählte ihre Geschichte und hoffte, die Dame könne ihr weiterhelfen. Renate, so nannte sich die Krebsfrau, war seit langer Zeit schon Witwe und nicht gut auf das andere Geschlecht zu sprechen. „Den Hecht wolln se doch alle haben. Det kenn ick schon. Gesehen hab ick den lange nich mehr. Ne Mädel lass ma, der is nichts für dich.“ Und damit verschwand Renate unter einer Seerosenwurzel und ließ Wilma mit ihren Gedanken allein.
Wo sollte sie nun weiter suchen? Hatte Renate womöglich Recht? Bestand überhaupt Hoffnung, dass er, Horst, auch sie lieben würde? Und würden sie je zusammen schwimmen können, er war doch viel schneller als sie? All diese Fragen verdrängte Wilma sehr gerne und sie dachte dann liebevoll an seine grünen Schuppen und an die Abendsonne. Sie würde weitersuchen - ohne Zweifel.
Eigentlich mochte sie das obere Gewässer nicht. Dort war ständig Trubel und Hektik. Rasante Fischschwärme und die Sonneneinstrahlung machten ihr zu schaffen. Aber Wilma schwamm weiter. Irgendwo musste ihr Horst doch zu finden sein. Ein Schwarm silberlicher Fische beäugte sie kritisch: „Was will die denn hier, hat sich wohl in der Wasserebene geirrt“. Wilma schwamm auf den Schwarm zu und fragte nach Horst. Ängstlich schlug dieser einen Wirbel und stob kurz auseinander. „Gestatten, wir heißen Bernd. Sind Sie wohl eine Bekannte von ... Horst?“ und der Schwarm Bernd zitterte kurz . „Nein“, antwortete Wilma, „ich will ihn kennen lernen, weißt du wo er lebt?“ Bernd atmete auf: „Nein, er ist überall und nirgends. Ich, ich meine wir lassen ihn schön grüßen ... Wenn du ihn findest, erzähl ihm bitte du hättest mich an der Brauerei getroffen.“ Und der Schwarm Bernd eilte orientierungslos nach links und rechts davon nachdem er Wilma einen süß-säuerlichen Blick zugeworfen hatte.
Arme Wilma. Sie hatte sämtliche Schilfgürtel bis Rübezahl und zurück durchkämmt, hatte Renate, Schwarm Bernd, sogar die Enten und Schwäne befragt und ihr blieb einzig und allein jener Augenblick am Schilfgürtel übrig. Alle hatten ihr abgeraten weiter zu suchen: „Dem bist du nie gewachsen.“; „Der hat doch diese Plötze zur Freundin, oder?“; „Was kannst du ihm denn schon bieten?“. Wilma ertrug all diese Bemerkungen und dann an einem Morgen sah sie Horst wieder im Schilf stehen. Er war leicht nach vorn geneigt und bewegte leise die Brustflossen. Er lächelte gar nicht. Und seine Schuppen waren ungewohnt matt. Das war also Horst? Unmöglich. Sie hatte ihn ganz anders in Erinnerung. Sie schwamm zu ihm: „Hallo, ich...“. „Pssst, merkst du nicht ich pirsche gerade, du störst.“ Wilma war ganz hin und hergerissen. „Ich wollte dir...“, Horst lächelte nun: „Ich erinnere mich an dich. Du hast mir schon einmal die Konzentration geraubt. Einen Augenblick habe ich dann die Fassung verloren und einen großen Fang verpasst. Ich habe dich gern aber deine Welt ist der Seegrund sowie die meine das Jagen an der Oberfläche ist. Drum kehre um bevor es zu spät ist.“
Horst nahm seine vorige Position ein und drehte Wilma die Schwanzflosse zu. Und Wilma trieb wie betäubt in einer Strömung davon.
Kurz vor Müggelseeperle stieß sie auf Bernd, der inzwischen neue Mitglieder gefunden hatte: „Dreh um, bevor es zu spät ist ...“, murmelte sie und Bernd erstarrte, sammelte sich und schoss in die entgegengesetzte Richtung. Wilma dachte an Norbert und an seine sauberen Zacken. Sie würde ihn diesmal mit Schlick bewerfen wenn sie wieder zu Hause ist und dann ein gemütliches Schlammbad vorziehen.
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