Geschichten aus dem Müggelwald
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Das Tierheim
Traurig schnürte die Füchsin durch die Wiesen. Zwischen Büschen und hohem Gras hatte sie ihren Bau. Dort hatte sie ihre Jungen großgezogen. Sie war unermütlich auf der Jagd gewesen, hatte ihren Jungen Mäuse, Eier, Insekten und Schnecken zum Fraß gebracht. Die Füchsin hatte sie auch gelehrt, wie man Beute macht. Dann eines nachts, der Mond schien hell, hatte sie etwas gewittert. Schnell waren die Jungen da, machten sich hungrig über das duftende Fleisch her. Plötzlich gab es einen Knall, ein Feuerstrahl - ein Junges war tot. Später noch eins und noch eins. Nur die Mutter blieb unversehrt, weil sie sehr vorsichtig in Deckung geblieben war. Nein, hier war sie nicht mehr sicher, deshalb suchte sie sich ein neues Revier.
Besonders vorsichtig war sie an der großen Brücke. Wenn sie ein Auto hörte und die weit leuchtenden Lichter über die Straße glitten, versteckte sie sich hinter einem Pfeiler. Dann lief sie schnell über die Brücke und war im Müggelwald.
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Sie wollte wieder in eine Wiesenlandschaft, durchquerte also den Wald und kam, als der Morgen graute, in eine kleine Siedlung. Hier wohnten Menschen und Hunde, also mußte sie besonders vorsichtig sein. Dann fand sie einen Napf mit leckerem Futter, dicht an einem Haus. Satt und zufrieden suchte sie nun ein sicheres Plätzchen. Plötzlich kam bellend ein großer, langhaariger Hund. Vor Schreck sprang sie auf die andere Seite des Weges. Hier waren nur noch morsche Reste von einem Zaun. Dichtes Gebüsch, Bäume und wuchernde Himbeerruten wuchsen bis dicht an ein altes, offenbar schon sehr lange nicht mehr bewohntes Häuschen. Hier schien es ihr sehr sicher und geeignet für einen neuen Bau zu sein. Sie witterte in einen beinahe zusammengebrochenen Schuppen. Es roch nach Moder und nach Staub. Sie war sehr müde, darum schob sie sich hinter altes Gerümpel, rollte sich zusammen und schlief.
In der nächsten Abenddämmerung wollte sie die Umgebung erkunden. Es waren viele kleine Grundstücke und Gärten hier, aber nur wenige waren jetzt im Herbst bewohnt. Kleine verwinkelte Wege führten zu den Gärten und auch zu den Wiesen war es nicht weit. Hier wuchsen auch Büsche, wucherten Kräuter und Stauden, hier lagen auch Gerümpel, Unrat und Gartenabfälle, beste Stellen, um fette Beute zu machen. Sie war sehr zufrieden, hier ließ es sich gut leben. Sie kehrte zu dem Garten mit dem alten Haus zurück, prüfte und probierte den günstigsten Platz für den neuen Bau. Sie grub unter der kleinen Veranda einen Gang, einen zweiten Ausgang an einer anderen Stelle. Dann richtete sie sich ihr Winterquartier gemütlich ein und war mit allem sehr zufrieden.
In den folgenden Nächten erkundete sie vorsichtig das ganze Haus. In den Keller kam man von außen. Da standen alte Regale mit Gläsern und alten Haushaltsdingen. Die Eingangstür zum Haus war nicht verschlossen, aber verquollen. Unten an der Tür war ein Brett ganz morsch, das kratzte sie ab und schob sich in die Veranda. Scherben lagen auf der staubigen Erde und viele Blätter waren inzwischen durch die Lücken in den Fensterscheiben geflattert. Alte Kissen lagen in einer Ecke unter einem Tisch. Die Türen im Haus standen offen. Es gab eine Küche, in der ein alter Küchenschrank mit offenen Schubladen und Türen stand. Auf dem Herd standen bunte Kochtöpfe und am Fenster noch ein Tisch und zwei Stühle. In der Stubegab es zwei Betten mit Matratzen und Kissen. Ein dicker Polstersessel stand dicht beim Ofen und es waren Regale mit Büchern da. Alles war staubig, muffig, aber interessant. Eine Stiege außen am Haus führte auf den Boden. Als die Füchsin gerade hoch wollte, maunzte sie jemand an. Ja, damit musste sie rechnen, dass hier noch jemand wohnt. Es war ein Marder. „Guten Tag, Frau Marderin”, sagte die Füchsin, „ich bin gerade hier eingezogen, schön, dass ich nicht alleine hier bin.” „Grüß sie auch, Frau Füchsin, ich finde, hier könnten wirklich noch mehr Tiere ein prima Winterquartier finden.” „Wollen wir darüber nicht mal gemeinsam beraten?” So kam es, dass die Marderfrau aus dem Dachboden an einen Baum sprang und an dem auf die Erde kletterte. Dann saßen sie beide im Mondschein und überlegten, wen sie hier noch in ihre Wohngemeinschaft aufnehmen könnten. „Also ich denke da an den Herrn Dachs, der könnte doch gut in der Stube wohnen”, sagte die Marderin. “„Sehr gut finde ich das, denn ein starker Mann in so einem Haus ist immer gut”, sagte die Füchsin. „Dann könnte ich mir noch vorstellen, dass in der Küche in dem Schrank, wo die kleinen Schubladen offenstehen, jeweils ein Vögelchen gut wohnen könnte.” „Genau”, sagte die Marderin und leckte sich ihre Schnurrhaare. „Nee, nee, Frau Marderin, ich weiß genau, was sie jetzt denken, aber ich appelliere an ihre Marderehre, keine Beute in der Wohngegend!” „ Sie haben ja Recht, Frau Füchsin.” „Und wer könnte in der Veranda wohnen?” „Ich könnte mir eine Igelfamilie dort unter dem Kissenberg gut vorstellen.” „Wunderbar!”, sagte Frau Marderin. „Neulich hab ich eine Igelmutter mit vier kleinen Kindern getroffen, denen müsste man Bescheid geben.” „Alles klar”, sagte die Füchsin, „wer könnte den Keller beziehen?” Sie überlegten lange, sahen in den Mond und dabei bemerkten sie, dass blitzschnell kleine Flattertiere durch die Dunkelheit flogen. „Ich habs”, sagten beide wie aus einem Maul, „die kleinen Fledermäuse hätten ein frostfreies Winterquartier im Keller.” Zufrieden mit ihrer Beratung trennten sie sich für diese Nacht und jeder ging, da es langsam hell wurde, in den eigenen Bau.
In der folgenden Nacht hatten beide sehr viel zu erledigen. Weit stromerten sie durch die Wiesen und Gärten, bis sie alle Tiere gefunden hatten. Es wurde ja nun auch bald Winter und die Tiere waren glücklich über die Einladungen zu so einem wunderbaren Tierheim. Nach und nach zogen sie in ihre Behausungen ein. Der große Hund in der Nachbarschaft gewöhnte sich an die neuen ständigen Nachbarn und trotzdem merkten die Menschen nichts davon. Eines Tages kam in einem großen Auto ein dicker Mann die Straße entlang, hielt vor dem Grundstück, verglich die Lage und das Nummernschild mit seinen Unterlagen. Dann machte er einen Rundgang durch den Garten, sah durch die zerbrochenen Fensterscheiben. Kopfschüttelnd verließ er das Grundstück.
Frau Marderin und Frau Füchsin hatten ihn wohl bemerkt. Sie ahnten, dass es für sie sehr schlimm hätte ausgehen können. Mit großem Herzklopfen hatten sie jeden seiner Schritte verfolgt, bis er das Grundstück wieder verlassen hatte. Ruhe war wieder eingekehrt.
Das Laub war von den Bäumen gefallen und der erste Schnee hatte Haus und Garten verzaubert. Friedlich und geborgen schliefen die Tiere, träumten vom Frühling. Die Vögelchen flogen morgens in den Garten, um Futter zu suchen, abends saßen sie wieder in den Schubladen. Nachts gingen Frau Marderin und Frau Füchsin auf leisen Pfoten auf Nahrungssuche und kehrten morgens wieder in ihren Bau zurück. Alle hofften, dass sie noch lange in diesem Tierheim wohnen dürfen. Das wünschen wir ihnen auch, oder? MS
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