Soll die Schule später anfangen ?
von MR Dr. Rolf Förster
Selten hat ein kleiner Artikel so viel Aufsehen erregt, wie jener am 16. Januar im „Spiegel“. Herr Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Würtemberg, will Schüler eine halbe oder ganze Stunde später zur Schule schicken, hieß es da. Nie werden Kinder in Deutschland ihren Landesvater so geliebt haben.
Warum denn das, welche griffigen Argumente sprechen für so ein Umdenken? Ich kann nicht nur als Arzt umhin, dafür Beifall zu spenden, sondern ich erinnere mich schon noch daran, wie es war, Kind zu sein und zur gefühlten Mitternachtsstunde rauszumüssen.
Was sagen nun Wissenschaftler dazu ? Professor Zulley vom Regensburger Schlaflabor hat belegt, dass Kinder durch ihren Biorhythmus bedingt, zum Schulbeginn morgens um acht ungefähr so leistungsfähig wie nachts um zwölf seien. Wer auch noch das Pech eines langen Schulwegs hat, muss nicht selten schon vor sechs aus den Federn, um dann pünktlich für die ersten Schulstunden wieder in einen Dämmerzustand zu verfallen. Ganz zu schweigen davon, dass kaum Zeit für ein gemeinsames Frühstück mit der Familie besteht.
Ähnlich der Münchner Chronobiologe Roenberg, der durch den frühen Schulbeginn nicht nur die Leistungsfähigkeit der Kinder bedroht sieht, sondern auch das Leben des müden unaufmerksamen Kindes auf dem Schulweg.
Die jüngeren Müggelheimer Kinder, die unsere Schule im Ort besuchen, haben es dabei zugegebenermaßen wegen des allgemein kurzen Schulweges etwas besser. Den Zusammenhang zwischen nachhaltiger Lernleistung und ausreichendem Schlaf bezweifelt wohl niemand. Mehr Nachtruhe ist vielleicht ein besseres Pisa-Instrument als manche Bastelei an anderen Unterrichtsformen. Fest steht, wer unausgeschlafen zur Schule kommt, lernt und fühlt sich schlechter. Zu wenig Schlaf kann zudem das Herz schädigen und das Immunsystem schwächen. Kinder und Jugendliche mit Schlafmangel haben oft Kopfschmerzen, eher Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein und neigen verstärkt zu Depressionen. Und, man höre auf: wenig und schlechter Schlaf scheint häufig mit Übergewicht in Zusammenhang zu stehen. Denn ein und der selbe Botenstoff im Gehirn beeinflusst Appetit und Schlaf-Wach-Rhythmus. Studien haben ergeben, dass allgemein Leute nicht nur schlecht schlafen, weil sie dick sind, sondern auch umgekehrt. Der Datenberg, der zeigt, dass Schlaf mindestens gleichberechtigt mit Ernährung und Bewegung zur gesundheitlichen Vorbeugung gehört, wächst ständig. Übrigens, Kinder, die selten mit Eltern zusammen essen, bewegen sich auch weniger (siehe www. ernaehrung-und-bewegung.de) Die heutige Jugend trägt eine ständige Schlafschuld mit sich herum. Wie stark das Schlafbedürfnis bzw. das Schlafdefizit ist, kann man auch daran beobachten, wie sie am Wochenende, an schulfreien Tagen oder in den Ferien gerne erst später aufstehen.
Gibt es reale Chancen, wenigstens unseren jüngeren Kindern mehr Schlaf zu verschaffen, indem der Schulbeginn zeitlich hinausgezögert wird? Diskussionen sind
berechtigterweise im Gange. Kritik kommt von jenen, die einen späteren Schulbeginn für nicht organisierbar und nicht finanzierbar halten, und von Lehrerorganisationen, die um die Nachmittagsfreizeit der Kinder fürchten. An Ganztagsschulen wäre ein späterer Schulbeginn kein Problem. Wer kümmert sich aber um die Kinder, die wegen der Arbeitszeit ihrer Eltern trotzdem früh raus müssen, zumal die lieben Großeltern kaum noch in den Familienwohnsitz integriert sind?
Das häufige Gegenargument, dass Kinder eben früher ins Bett müssten, lässt sich leider schwer durchsetzen. Denn wo um halb sechs der Wecker klingelt, sollten die Kinder bei der notwendigen Schlafdauer von neun Stunden um 20:30 Uhr nicht nur im Bett liegen, sondern bereits eingeschlafen sein. Wir wissen darum, dass sie aber immer Mittel und Wege finden, die Eltern von ihrem angeblich geringen Schlafbedürfnis zu überzeugen. Dennoch sollten die Eltern Konsequenz zeigen, auch wenn sich die innere Uhr nicht beliebig umstellen lässt. Tageslicht, Mahlzeiten und andere soziale Interaktionen takten sie.
Fest steht aber auch, dass unter stabilen sozialen Verhältnissen, wo eben Eltern z.B. Pläne für Schularbeit, Fernsehen, Internet, Computerspielen und Lichtauszeiten festlegen, ein Mehr an Schlaf durchaus zu erreichen ist.
Resümee: Ausreichender Schlaf ist für die allumfassende Entwicklung unserer Kinder unentbehrlich und wenn es der Staat morgens und die Familie abends bewerkstelligen, Kindern mehr Schlaf zu verschaffen, ist die Hoffnung auf vielfältige positive Effekte berechtigt!
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