Müggelheimer Bote
10. Jahrgang, Ausgabe 01/2004
Januar 2004
Müggelheimer Bote

Inhalt
Nichts als Ärger mit der BVG
Schneebeseitigung - ein Gräuel
Grußworte aus Odernheim
Sonne und Saturn beobachten
Weitere Meldungen
Gedanken aus Müggelheim
Aus den Vereinen
Heimatverein
Leserbriefe
Aus der BVV
Kleinanzeigen
Kirche
Serie für den Natur- und Gartenfreund
Geschichten aus dem Müggelwald
Archiv
Müggelheim im Internet
Impressum
© 2004
Müggelheimer Bote
 
Serie für den Natur- und Gartenfreund

Wunderbare Welt

Vor mehr als 50 Jahren kam ein kleiner, freundlicher Mann in die Müggelheimer Schule, um uns Schüler für einen Biologie-Zirkel zu werben. Er war weißhaarig und für sein Alter sehr lebhaft in seinen Reaktionen und auch geistig äußerst rege. Es war der Müggelheimer Walter Reinhold.

Biologie hatte mich schon immer interessiert, denn als Kinder spielten wir im Wald und am Wasser. Außerdem halfen wir im Garten bei allen Arbeiten vom Säen bis zum Ernten. Damals gab es noch Maikäfer, manchmal fanden wir den großen Walker oder den großen braunen Nashornkäfer. Beim Milchholen bei Bauer Hembt habe ich immer in alle Ställe geschaut. Ich liebte den warmen Kuhstall und das friedliche Muhen der Schwarz-Weißen. Die rosa Schweine hatten einen kleinen ummauerten Freiauslauf, der durch eine kleine Tür mit dem Innenstall verbunden war. Sie reckten ihre Köpfe mit den „Steckdosennasen” neugierig zu mir hoch, so dass ich ihre Köpfe kraulen konnte.

Ein richtiger Biologie-Zirkel könnte mir etwas von fremden Tieren aus Afrika oder Amerika vermitteln, so dachte ich. Also war ich sofort begeistert dabei. Stattdessen erzählte uns Walter Reinhold von tausenden interessanten Einzellern, Fadenwürmern, Rädertierchen, Bärtierchen, Milben, Urinsekten, Enchyträen, Tausendfüßlern, Regenwürmern, Käferlarven, Asseln und Spinnen, die alle auch in unserem Komposthaufen lebten. Nicht nur ich war enttäuscht. Als ich ihm sagte, was ich mir erhofft hatte, sagte er mir: „Nee, nee, Mädchen, davon kann ich dir auch nichts erzählen. Ich bin Gärtner, davon verstehe ich was und von dem kann ich euch etwas beibringen.” Unser Grüppchen wurde kleiner. Herr Reinhold hat uns aber auf eine so nette Art von den Arbeiten in einem Garten berichtet, die zumindest für mich so beeindruckend war, dass ich daraufhin dann den Gärtnerberuf erlernt habe.

Ich bin noch heute beindruckt davon, wie zauberhaft, grandios und wunderbar unser Planet und alles Leben auf ihm ist. Die Erinnerungen aus meiner Jugendzeit, den ersten fundierten Fakten, die auch für alle Gartenbesitzer die Basis im Verständnis für die Abläufe des Werdens und Vergehens in der Natur bilden, nötigen uns zur Achtung vor der Natur. Wenn man solche Gedanken nicht nur in der Begrenztheit eines Gartens sieht, muss man schließlich auch erkennen, dass jedes Pflänzchen, auch jedes Unkraut, jedes Insekt, auch jeder Schädling, jedes niedliche Tier und jeder böse Räuber Teil eines Ganzen, dem Leben an sich ist.

Eine menschlich subjektive und einseitige Betrachtungsweise hat im Laufe der menschlichen Kulturgeschichte zu unendlich vielen Fehldeutungen, falschen Entscheidungen und falschen Handlungen geführt. Man denke nur an die Flussbegradigungen, Tagebaue, Brandrodungen usw. Immer geht es um Profit, und die Natur wird zerstört. Tiere werden nicht artgerecht gehalten, in Laboren zu Tode gequält. Sie wurden bis vor einem Jahr als „Sache” angesehen und Philosophen sagen erst jetzt, dass Tiere sehr wohl leidensfähig sind. Wer kann mit Sicherheit behaupten, dass Pflanzen nicht leidensfähig sind? Der Mensch entscheidet und handelt so lange, bis die Folgen uns selber zerstören (Antibiotika im Fleisch, BSE, Genmanipuliertes Fleisch, Getreide und Gemüse etc.). Müssen wir politische Fehlentscheidungen so hinnehmen? Beim Einkauf kann beispielsweise jeder Verbraucher selber entscheiden, ob Bio- oder belastete Lebensmittel gekauft werden.

Sie merken, man kommt in Konflikte mit sich selbst. Eigentlich bleibt nur die Flucht hinter den eigenen Gartenzaun. Dort kann jeder seine eigene „heile Welt” gestalten. Ich denke an die Nachkriegsjahre, in denen der Garten der Lebensgarant der Familie war. Damals hatte der Siedlerverein eine nicht unwesentliche Bedeutung. Übrigens war dessen Vorsitzender auch jener Walter Reinhold und sein Engagement unter anderem bei der Saatgutbeschaffung aber auch bei Baumaterial und fachlicher Beratung vor Ort bis hin zum Obstbaumschnitt ist sicherlich noch einigen Müggelheimern in Erinnerung.

Aber auch die Geselligkeit und die Nachbarschaftshilfe hatten eine große Bedeutung. Heute ist jeder sein eigener Herr und doch wäre ein bisschen mehr Nachbarschaftshilfe und fröhliche Kontakte schön. Es kostet doch nichts.

Um das wieder zu erreichen, sollten wir vielleicht bei unseren Kindern anfangen. Ziehen Sie doch selbst mal wieder ein paar Pflänzchen aus Samen. Und zeigen Sie Ihren Kindern, wie hübsch solch ein Sämling sich entwickelt, eine Ranke sich windet, Knospen, Blüten und Früchte reifen. Sie sollten versuchen, verschiedene Samen an ihrer Gestalt zu erkennen, an der Erde riechen, Wurzeln, Zwiebeln, Knollen an ihrem Aussehen sicher erkennen - all das will erlernt sein. Kinder sollten auch ermuntert werden, ein eigenes Beet nach ihren eigenen Wünschen zu bestellen, zu pflegen und auch zu ernten. Unkraut, oder besser Wildpflanzen, könnten dann auch schon als Sämling erkannt werden und ohne giftige Chemie einfach mit der Hacke entfernt werden. Wichtig ist bei der Erstellung des Pflanzplan, auf biologisch günstige Nachbarschaften zu achten.

Wenn Gartenarbeit nicht als „Muss” betrachtet wird, sondern als Erlebnisbereich mit sinnvoller Betätigung, dann ist doch schon alles gewonnen. Vielleicht können wir, wenn alles blüht, Blumen und Sträucher, wenn wieder Komposthaufen angelegt werden und keine giftige Chemie mehr jedes Insekt tötet, vielleicht können wir dann auch wieder die seltenen Käfer wie den Maikäfer, den Walker und den Nashornkäfer freudig betrachten. Das wünsche ich mir für Sie für das neue Gartenjahr. MS