Müggelheimer Bote
7. Jahrgang, Ausgabe 07/2001  
Juli 2001 Home  |  Archiv  |  Impressum


„Wir waren alles einfache Leute” - die Geschichte der Arbeiterzeltstadt Kuhle Wampe

Teil 2

Fortsetzung aus der Juni-Ausgabe

Kuhle Wampe war ein Jugendfilm und ein Film über die Jugend. Über eine in vielem radikale und zugleich optimistische Jugend in der Zeit vor Hitler und in einer Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, aus dem unzählige nicht wiederkehrten.

Viele im Film Mitwirkende wurden von den Nazis in die Zuchthäuser gezwungen, unter ihnen Alfred Schaefer, - der Arbeitslose, der sich am Anfang des Films aus Verzweiflung wieder keine Arbeit bekommen zu haben, aus dem Fenster stürzt. Er saß fünf Jahre in Brandenburg, weil er von 1933-1935 in Berlin-Neukölln illegal eine KPD-Zeitung herausgegeben hatte. Nach seiner Entlassung gelang ihm die Emigration nach China. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück, studierte an der Freien Universität und promovierte mit einer Arbeit über David Hume. Erst vor zwei Jahren ist er gestorben.

Der vor kurzem 100 Jahre alt gewordene Ernst Busch, die Stimme der Linken und männlicher Hauptdarsteller im Film, kam während des Zweiten Weltkrieges erst in ein französisches Internierungslager und danach in deutsche Haft. Nach dem Krieg wollte er sich für den Aufbau eines sozialistischen Deutschland einsetzen, doch die Partei- und Staatsführung konnte auf den Sänger Busch verzichten. Seine Spanienlieder und sein „Proletkult” waren nicht mehr gefragt. Anfang der 50er Jahre hörten die Radiostationen in der DDR auf, Busch zu senden. Er blieb sich treu, seiner Ideologie, seiner Kunst, sich selbst.

Ernst Ottwald, der neben Bertolt Brecht fast vergessene Mitautor des Films, emigrierte 1933 auf der Flucht vor den Nazis in die Sowjetunion und kam mutmaßlich 1943 in den Stalinschen Lagern um.Verratene Ideale. Wenn es um die Jugend geht, bemüht der reifere Mensch gern den Zitatenschatz. Zum Beispiel Aristoteles : „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von Morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.”

Heute hätte er vielleicht hinzugefügt: Wollen nicht in die Parteien eintreten und zur Wahl geht auch nur jeder zweite. Und die Jugend hört man sagen: Nützt ja eh nichts. Sollen sie doch reden, die Alten. Aber wenn man genauer hinsieht, stellt sich ein anderes Bild ein. Noch nie durchschaute die Jugend die staatstragenden Veranstaltungen und die medialen Schauspiele der Mächtigen schneller als heute. Noch nie hatte man weniger Angst vor den Fehlern der Politik, aber man setzt auch kaum noch Hoffnungen in sie.

So wenden sich weite Teile der Jugend ab von den durchinszenierten Rededuellen der Polit-Talk-Shows. Sie wenden sich ab, weil trotz Bildungsoffensive in den Schulen die meisten Computer immer noch aus Schokolade sind und selbst die einstige Schüler- und Studentenpartei, die Grünen, nur noch den Charme eines in die Jahre gekommenen Gesamtschullehrerkollegiums ausstrahlt, das sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt. Heute kann jeder mit Mitte 20 eine Firma haben und mit 30 Professor werden. Helmut Kohl wurde mit Mitte 30 Ministerpräsident. Heute ist man in diesem Alter bestenfalls Statist auf der politischen Bühne. Wer weiß schon, dass rund zwei Drittel der eingeschriebenen Sozial- und Christdemokraten heute über 50 Jahre alt sind. Wer joggt oder mit der Telekom Rad fährt, ist eben nicht automatisch jung. Also, wo bleiben die Jungen?

Vieles spricht dafür, dass das eindeutige Verhalten vieler Jugendlicher heute weniger mit Verdrossenheit zu tun hat, als mit Nähe zur Realität, vielleicht auch mit Abgeklärtheit. Politische Themen, die für die Jugend von gestern wichtig waren, interessieren sie nicht. Das ist schon deshalb völlig normal, weil jede Generation ihre eigenen Themen hat. Die Grundstimmung der heutigen Jugend in Ost und West ist - so die Ergebnisse einer Studie - eine deutlich gewachsene Zuversicht im Hinblick auf die persönliche wie auf die gesellschaftliche Zukunft. Zuversicht ohne Illusion. Natürlich haben sich in den letzten Jahrzehnten die Formen und Bedingungen geändert. Aber die Grundkonstellation ändert sich nicht. Damals wie heute wird sie geprägt, durch die Herausforderung, mit sich selbst und den anderen klar zu kommen und seinen Platz in einer Gesellschaft zu finden, die sich mit ihnen verändern wird. Uns älteren mag vieles an der heutigen Jugend fremd und unverständlich und auch ärgerlich sein. Doch das ging unseren Eltern und Großeltern mit uns nicht anders.

Jean Cocteau hat geschrieben: „Was bei den Jungen wie Grausamkeit aussieht, ist meistens Ehrlichkeit.” Und es ist heute genau so ehrlich wie damals, bei den Jugendlichen in Kuhle Wampe, der Arbeiterzeltstadt am Großen Müggelsee.

„Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ war so ein ehrlicher, ungeschminkter Film, der 1932 zunächst verboten wurde, weil er im Verdacht stand, die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden. Nach massivem Druck und einigen Schnitten erfolgte die Freigabe einer leicht veränderten Fassung. Mit den Nazis kam 1933 das endgültige Verbot.

Heute ist der Film erlaubt und trotzdem kaum zu sehen.

Claus-Dieter Sprink, Leiter des Köpenicker Heimatmuseums

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